Neoliberale Unterwanderung der Linken

Der traurige Zustand der antikapitalistischen Bewegung

Gerade jetzt braucht es eine starke, geschlossen handelnde Linke, die das Ruder herumreißen könnte: Es bedarf den krisengeschüttelten Kapitalismus der Gegenwart umzustrukturieren oder idealerweise zu überwinden. Ist ein gemeinsames Handeln der Linken leider ein Wunschtraum. Die bürgerliche „linke“ Identitätspolitik hat die Linke schwer beschädigt - mit tatkräftiger Unterstützung der Kapitalisten.

Als „klassischer“ Linker mit marxistisch-leninistischem Anspruch fragt man sich nicht erst seit der Ukraine-Farce, aber mindestens seitdem, was mit der Linken insbesondere in Deutschland los ist. Und damit ist nicht allein die Partei ,,die Linke" gemeint. Frühere Selbstverständlichkeiten und politische Standards zählen nicht mehr. Denn das tonangebende Milieu, das sich selbst für links hält, ist heute weiter von einem Klassenbewusstsein entfernt, als es die Industriearbeiter des 19. Jahrhunderts je waren. Deshalb seien einige Defizite der heutigen Linken aufgezeigt:
  • Selten bis gar nicht wird die klassische Eigentums- und Klassenfrage gestellt.
  • Die Verbindung mit der Arbeiterbewegung ist völlig ausgedünnt. Es herrscht Entfremdung vor.
  • Die Gefahr wächst, dass die inzwischen massenhaft Verarmten weitgehend sich selbst überlassen bleiben. Die Linkspartei muss, trotz guter sozialpolitischer Programme, aufpassen, dass sie eines ihrer „Kerngeschäfte“ nicht aufgibt.
  • Der Kampf um Frieden und Abrüstung ist ebenso in die letzte Reihe gerückt wie der Internationalismus, der einem bürgerlichen entpolitisierten ideologischen Mischmasch gewichen ist. Ehemalige Friedensfreunde wie die Grünen sind inzwischen zu Waffen affinen NATO-Freunden mutiert, die es nicht mehr abwarten können, erneut auf Barbarossas Spuren zu wandeln. Der US-Imperialismus wird nicht mehr durchgehend als Aggressor wahrgenommen wie früher. Im Gegenteil.
  • Die Narrative der Politik, insbesondere zu Covid-, Klima und Rüstungs-Maßnahmen, werden blind geglaubt und kaum noch infrage gestellt. Die Bildungslosigkeit insbesondere des linken „Nachwuchses“ ist erschreckend.
  • Vor diesem Hintergrund kann es kaum noch verwundern, dass die Kardinalfrage, nämlich die Überwindung des staatsmonopolistischen Kapitalismus als Ziel und wie man dieses erreicht, kaum noch eine Rolle spielt.
Sicherlich gibt es eine ganze Reihe von objektiven Gründen, die für diesen Zustand verantwortlich zu machen sind. Zu nennen sind zunächst die, die bereits einige Jahrzehnte zurückliegen, aber eine erhebliche Fernwirkung hatten:
  • Die nachgelassene Attraktivität des realen Sozialismus und westlicher kommunistischer Parteien seit den 1950/60er Jahren, die teilweise selbst verschuldet war, aber auch vom Klassengegner herbeigeführt wurde: Die Destabilisierung der westlichen kommunistischen Parteien im Rahmen geheimdienstlicher Operationen (Stichwort Gladio), die insbesondere in Italien die KPI betrafen, und die offene Verfolgung in der BRD, die zum Verbot der KPD führte.
  • Die endgültige Selbstentmachtung der Sozialdemokratie und die vollständige Sozialdemokratisierung der Arbeiterbewegung, das heißt ihre Überführung in die scheinbar klassenlose Sozialpartnerschaft.
  • Die Neuorientierung vieler Linken nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Blocks und der Sowjetunion und die Säuberung der Bildungseinrichtungen in den ostdeutschen Bundesländern von marxistischen Wissenschaftlern und Lehrkräften durch den „Sieger“ BRD nach dem Anschluss der DDR.
  • Nicht zu vergessen, „welche erheblichen Spuren die gut 30-jährige neoliberale Konterrevolution in Politik, Medien, Kultur sowie Bildungswesen und damit im Bewusstsein der Bevölkerung hinterlassen hat” 
Das nachgelagerte weltanschauliche und politische Vakuum begünstigte schließlich das Vordringen bürgerlichen, linksliberalen Gedankenguts, das auf einen fruchtbaren Boden bei orientierungslosen Linken fiel: postmoderne pseudolinke Ideologeme, die in der sogenannten Identitätspolitik gebündelt sind.
Vor den fatalen Auswirkungen bürgerlichen Denkens auf linke Politik hatte Walter Benjamin bereits 1931 in seiner Polemik gegen den kleinbürgerlichen Linksintellektualismus seiner Zeit gewarnt und ihn „als bürgerliche Zersetzungserscheinung“ bezeichnet, die „mit der Arbeiterbewegung (...) wenig zu tun“ habe. Und folgerte: „Kurz, dieser linke Radikalismus ist genau diejenige Haltung, der überhaupt keine politische Aktion mehr entspricht“ 
Dieser Kurzbefund Benjamins kann gut auf die aktuelle innere Konstitution der Linken übertragen werden, die tatsächlich in einer Zeit der fortgesetzten Außerkraftsetzung der Grundrechte und massiver Entdemokratisierung der Gesellschaft durch Handlungsunfähigkeit auffällt.
Stattdessen beschäftigt sie sich entweder mit sich selbst oder gefällt sich in der Rolle als bissiger Terrier im Dienste der Ampel-Regierung gegen linke Regierungs-Kritiker. Dabei spielt die seit Anfang der 1990er Jahre immer einflussreicher gewordene bürgerliche, auch linksliberal oder neoliberal bezeichnete Identitätspolitik eine wichtige Rolle. Bezeichnenderweise in den USA an einigen Universitäten und in kleinen politischen Zirkeln ausgebrütet, fand sie schließlich auch unter westeuropäischen kleinbürgerlichen Linksintellektuellen und subkulturellen Polit-Aktivisten nach und nach eine Anhängerschaft. Ihr Kerngeschäft ist die Geschlechter- und Minderheitengerechtigkeit, die auch eine Domäne der klassischen Linken war und bleiben wird.

Allerdings unterscheiden sich beide Politikansätze grundlegend voneinander. Denn die identitätspolitischen „Linken“ haben ein scheinbar hipperes, moralisierendes Politikverständnis „weg vom angestaubten Klassenkampfgetue der Vorväter“. Paradoxerweise steht für sie „nicht mehr die alte Eintracht“ im Vordergrund.
Deshalb ist die linksliberale Identitätspolitik „das Gegenteil historischer Emanzipationsbestrebungen der Arbeiterbewegung. Ihr Fokus auf Anerkennung immer kleinteiligerer Gruppenidentitäten, die anhand ethnischer, sexueller, sozialer oder kultureller Aspekte konstruiert werden, zielt nicht auf Solidarität und Gemeinsinn, sondern auf Subjektivität und Ausschluss ab. Statt um universalistische Forderungen nach schrankenlosen Zugängen zu Bildung, Gesundheit, Wohlstand und Teilhabe geht es um Sonderrechte“. 

Mit dem Ergebnis: Die Revolution wird zugunsten ‚kleiner Schritte‘ (dazu zählen dann stumpfsinnige Streitereien über Wörter und ‚Narrative‘) aufgegeben, man zieht sich in die Subjektivität zurück, man verneint den Klassenkampf, erhebt ‚meine‘ besondere Unterdrückung über ‚deine‘ und gelangt so schließlich zu einer fortschreitenden Zerteilung der Bewegung bis hin zu ihrer Atomisierung, und wird so Teil der neoliberalen Agenda.
Vor diesem Hintergrund neigen die verschiedenen postkolonialen und LGBT-Communities dazu, ihre abgesteckten Positionen nicht nur aggressiv zu verteidigen, sondern auch zu erweitern. In Universitäten, Redaktionen und im Kulturbetrieb mittlerweile weit verbreitet, haben sie inzwischen auch jene Parteien durchdrungen, die einmal zur Linken gezählt wurden: Ganz vorne weg die Grünen, aber auch in der SPD sind sie, vor allem über die Jugendorganisationen, inzwischen ebenso angekommen wie in der Linkspartei. Dort versuchen sie, ihre Agenden aggressiv durchzusetzen, die nicht nur diesen Parteien, sondern der Gesamtlinken und letztlich auch den betroffenen Minderheiten aktuell und auf lange Sicht allerdings mehr Schaden als Nutzen bringen. Denn:
Durch ihren extrem akademischen und bevormundenden Diskurs trägt die postmoderne Identitätslinke wesentlich zur immer weiteren Entfremdung ‚der Linken‘ (...) von den am meisten unterdrückten und abgehängten Teilen der Arbeiterklasse bei, die sich durch die Politik der postmodernen Identitätslinken in ihren realen Problemen nicht nur nicht ernst genommen, sondern angegriffen und verhöhnt fühlen.
Deshalb ist es kein Wunder und nachvollziehbar, dass die große Mehrheit der Bevölkerung mit Identitätspolitik nichts am Hut hat. Diese neuen linken sind alles andere als links. Man kann sie als ,,progressisv Rechts" einordnen.

Um die Diskurshoheit zu gewinnen und zu halten, ist den Anhängern des identitätspolitischen Linksliberalismus jedes Mittel recht. Unwillig oder unfähig zur Debatte agieren sie polemisch zuspitzend, indoktrinieren einseitig-rabiat, unversöhnlich und dogmatisch und machen selbst nicht davor Halt, Andersdenkende unter der Linken öffentlich persönlich zu verleumden und beruflich zu zerstören. Eine, die es wissen muss, ist Sahra Wagenknecht:
„Das, was heute Linksliberalismus genannt wird, sollte wegen seiner ausgeprägten Intoleranz eigentlich ‚Linksilliberalismus‘ heißen.“

Die mit der Identitätspolitik einhergehende sogenannte ,,Cancel Culture", mit anderen Worten Zensur und Diffamierung, ist deshalb gefürchtet. Parteien, Unternehmen, Redaktionen und Einzelpersonen knicken oft sofort ein, sollte sich ein hysterischer Shitstorm ankündigen.
Tatsächlich ist es das Ziel von Cancel Culture, „Menschen mundtot zu machen“, bringt es Jens Berger auf den Punkt. Und zwar mithilfe der „systematische Boykottierung, Verbannung und Annullierung von Werken und Personen aus dem öffentlichen Leben. Eine Anti-Aufklärung, die Intoleranz im Namen der Toleranz pflegt, ein Volksgerichtshof der politischen Korrektheit.“
Was und wer politisch korrekt ist, bestimmt mittlerweile das unsichtbare mittelalterliche Inquisitionstribunal der „Queerdenker“ aller Schattierungen. Verpackt in verqueren, ja hermetischen Sprachcodes, die keinen Anspruch darauf erheben, von der von ihnen verachteten großen Masse verstanden werden zu sollen, kommen ihre Thesen als Dogmen daher: theoretische Versatzstücke aus dem Arsenal idealistischen poststrukturalistischen Denkens, die übrigens stramm anti-marxistisch ausgerichtet und in ihrer Absurdität kaum noch zu übertreffen sind.
Wer nicht auf der politisch korrekten Linie liegt, der läuft Gefahr, in den sozialen Medien „mit dem rhetorischen Baseballschläger“ eines hysterischen Mobs Bekanntschaft zu machen, so der US-amerikanische Linguistikprofessor John McWhorter über die Woke-Kultur und Cancel Culture, die seiner Meinung nach „zu einer Gefahr für Meinungsfreiheit und Demokratie“ werden.

Wer zum Beispiel die normativ gesetzte Non-Binarität kritisiert, muss damit rechnen, medial angefeindet zu werden. Da wird selbst eine Feministin wie die ,,Harry Potter" Autorin Joanne K. Rowling nicht verschont. „Die Autorin hatte sich beispielsweise über einen Post im Internet lustig gemacht, in dem von ‚Menschen, die menstruieren‘ die Rede war, und sarkastisch gefragt, warum man nicht einfach ‚Frauen‘ schreiben könne. Weiter äußerte sie, eine Frau zu sein sei eine biologische Tatsache und kein Konstrukt.“

Wie einflussreich die Identitäts„linke“ geworden ist, zeigen Vorgänge zum Beispiel an der Universität Kassel. Wer dort den Gender-Neusprech verweigert, muss aufpassen, in seinem Studium nicht benachteiligt zu werden. Die Leitung der Universität lässt es zu, dass Studierende offensichtlich den identitätspolitischen Ansichten ihrer Dozenten in problematischer Weise ausgeliefert sind. Wer weiterhin traditionell schreibt, also das generische Maskulinum „geschlechtsneutral“ verwendet, wird sanktioniert - durch eine schlechtere Benotung seiner Arbeit: ein rechtlich höchst zweifelhafter Zustand.  Menschen unter Strafe vorzuschreiben, wie sie schreiben sollen, ist einfach nicht hinnehmbar. Benotet werden darf ausschließlich die Leistung.

Der Rat für deutsche Rechtschreibung hat in seiner Empfehlung zur geschlechtergerechten Schreibung vom 26. März 2021 deutliche Grenzen gezogen hat und grundsätzlich kritisiert: „Für den Hochschulbereich erscheint fraglich, ob die Forderung einer ‚gegenderten Schreibung‘ in systematischer Abweichung vom Amtlichen Regelwerk der deutschen Rechtschreibung für schriftliche Leistungen der Studierenden und die Berücksichtigung ‚gegenderter Schreibung‘ bei deren Bewertung durch Lehrende von der Wissenschaftsfreiheit der Lehrenden und der Hochschulen gedeckt ist. Hochschulen und Lehrende haben die Freiheit des Studiums nicht nur bei der Wahl von Lehrveranstaltungen, sondern auch bei der Erarbeitung und Äußerung wissenschaftlicher Meinungen der Studierenden zu beachten und zu schützen“
Das Allerschlimmste ist, und das sollte in diesem Zusammenhang nie übersehen werden:
Die Cancel Culture und die scheinbar politisch korrekte Gendersprache der Identitäts„linken“ zielt auch darauf ab, das Denken in seiner ganzen Universalität massiv einzuschränken und zu verengen.

Auch die postkoloniale Fraktion der Identitäts„linken“ beteiligt sich intensiv an der Zensur und des Ausschlusses. Im Gegensatz zur US-amerikanischen Black Panther Party in den 1960er und 1970er Jahren, in der es für erhebliche Teile ihrer Anhängerschaft noch selbstverständlich war, keinen Rassenkampf, sondern einen Klassenkampf zu führen und breite Bündnisse anzustreben, legt die relativ neue Bewegung Black Lives Matter (BLM) zum Beispiel, die nach zahlreichen Ermordungen von Afroamerikanern durch weiße Polizisten in den USA einen Aufschwung erlebte, keinen Wert mehr auf antikapitalistische Positionen wie noch zu ihrem Beginn. Außerdem kommt die postkoloniale Identitätspolitik der herrschenden Innenpolitik der USA entgegen, die seit vielen Jahrzehnten darauf setzt, die verschiedenen Ethnien erfolgreich gegeneinander auszuspielen.
Noch bis vor kurzem bekannte sich BLM zum Widerstand gegen die Trans-Pazifische Partnerschaft (TPP) oder zur Zerschlagung der Großbanken; mittlerweile ist von diesem Anti-Globalisierungs- und Anti-Kapitalismus-Gedröhn nichts mehr zu bemerken. Auch die Forderung nach lebenslanger Gratis-Schulbildung und einem garantierten Mindestlohn für Schwarze sucht man heute vergeblich. Dafür stehen so wohlklingende wie schwammige Bekenntnisse zu Diversität, forcierter Gerechtigkeit, Empathie und Verständigung der Generationen im Vordergrund.

Insgesamt gesehen „(bleibt) die Bewegung (...) undurchsichtig“. Muss sie doch mittlerweile Rücksichten auf potente Sponsoren nehmen, die unter anderem für ihre engen Beziehungen zur Wall Street und zu US-Geheimdiensten bekannt sind und die Bewegung für ihre Ziele einzuspannen versuchen. Allein 2016 konnte BLM 100 Millionen US-Dollar unter anderem von der Ford Foundation der CIA“, und von anderen politisch rechten Stiftungen einsammeln. Natürlich nahm sich auch private Unternehmen und Milliardäre ihrer an und spendeten Millionen US-Dollar — alle zusammen Repräsentanten eines aggressiven US-Imperialismus, das sehr daran interessiert ist, in vielleicht anfänglich antikapitalistische Bewegungen einen Spaltpilz zu setzen und sie damit frühzeitig zu neutralisieren.
Dass „das im Kern rassistische Programm von ,,Black Lives Matter" (...) durch Stiftungen wie die Ford Foundation unterstützt wird, macht eines klar: Diese Organisationen haben nichts mit den wahren sozialen und wirtschaftlichen Problemen von Millionen von Arbeitern und jungen Menschen aller Hautfarben, Religion, Orientierung oder Ethnie zu tun. Sie sprechen für hochprivilegierte Schichten der Mittelklasse, die sich im Verteilungskampf innerhalb der obersten zehn Prozent der Bevölkerung befinden. (...) Es geht darum, die Arbeiterklasse zu spalten“.

Deshalb bleibt die Beteuerung zum Beispiel der Berliner Sektion von BLM naiv und ein frommer Wunsch: „Wir haben kein Interesse daran als Token missbraucht oder profitorientiert vermarktet zu werden“. Schließlich ist es doch noch immer so: Wer die Musik bestellt, bestimmt auch, was gespielt wird. Während der Antikapitalismus in der postkolonialen Fraktion in den Hintergrund trat, ist so mancher identitätspolitische Unsinn dagegen in den Vordergrund gerückt worden. Dabei erschöpfen sich die Diversitätsbekenntnisse zumeist im Ausschluss des hässlichen, fetten weißen Mannes, dem unterstellt wird, Grund allen Übels auf der Welt zu sein. Bleichgesichter dürfen nun nicht mehr im Sandkasten mitspielen.
Tatsächlich sind die Forderungen von postkolonialen Gruppen oft lächerlich und apolitisch. Durch variantenreiche Demütigungsrituale, Redeverbote und Zensurmaßnahmen soll den Bleichgesichtern deutlich gemacht werden, dass ihre Zeit der Vorherrschaft vorüber ist.

Die abstrusen Forderungen reichen - um nur einige Beispiele zu nennen - von einer Entfernung des „Kolonialisten“ Shakespeare aus US-amerikanischen Lehrplänen über ein Synchronisationsverbot nicht-weißer Filmfiguren durch ,,Weiße", ein Übersetzungsverbot von Texten ,,schwarzer" Autoren durch ,,weiße" Übersetzer, ein Redeverbot von ,,Weißen" in Gegenwart diskutierender ,,Schwarzer" bis hin zum Zwang, sich als ,,Weiße" strengen, erniedrigenden Verhaltensregeln zu unterwerfen, wollen sie an Demonstrationen Farbiger zugelassen werden.
Anstatt ein breites, machtvolles Bündnis mit gleichgesinnten Akteuren Klassen- und Hautfarbenübergreifend anzustreben, um den Rassismen in den bürgerlichen Gesellschaften die Stirn zu bieten, scheinen die identitätspolitischen Anti-Rassisten nicht zu bemerken, dass sie selbst ein neues Fass aufgemacht haben: nämlich den Rassismus gegen ,,Weiße".

Diese rächende Auge-um-Auge-Zahn-um-Zahn-Mentalität ist schlichtweg reaktionär und wird sich nicht als zielführend erweisen. Rassismus kann nicht durch einen „alternativen“ Rassismus bekämpft werden. Die Sponsoren jedenfalls - in der Mehrheit zumeist alte ,,weiße" Männer - wird’s freuen. Die reiben sich die Hände und lachen sich schief. Der Spaltpilz ist endlich aufgeplatzt, und seine Sporen haben sich in der Linken noch weiter verbreitet. Die Zeiten, in denen die Linke noch ein satisfaktionsfähiger und ernst zu nehmender, ja zu fürchtender Klassengegner war, sind lange vorbei.
Die postkolonialen Identitäts„linken“ sollten folgende Frage beantworten:
,,Was ist daran fortschrittlich, nun unter der identitätspolitischen Agenda eines kriegsgeilen US-Präsidenten Joe Biden einen schwarzen Kriegsminister und endlich weibliche Generäle zu haben?"

Menschen, welche die gleichen Ziele wie ihre ,,weißen" und männlichen Vorgänger verfolgen, nämlich Kriege anzuzetteln und zu führen, um die Welt unter dem Diktat des US-amerikanischen Imperialismus zu beherrschen und auszubeuten? Den Abermillionen von Obdachlosen allein in den USA, die mittlerweile teilweise wie Höhlenmenschen hausen müssen, ist es dagegen egal, welche Hautfarbe ihre Unterdrücker haben.
Eines eint sie allerdings: Sie sind arm, verelendet und ausgestoßen und können ihre Situation nur gemeinsam verändern - nicht gegeneinander! Oder anders ausgedrückt: Mir ist es völlig wurscht, ob ich von einem weißen, schwarzen, roten oder karierten Kapitalisten ausgebeutet werde; mir ist es wurscht, ob ich von einem Mann, einer Frau oder einem Transmenschen unterdrückt werde. Wurscht ist mir dabei nicht, welcher Klasse er oder sie angehört, das ist das Einzige, was mich interessiert.

Wer nach Meinung der Identitäts„linken“ ihre Pläne zu durchkreuzen versucht, ist ein Störenfried, den es möglichst auszuschalten gilt. Die aggressive Wucht, ja der Terror, mit der Kritiker und Andersmeinende angegangen werden, ist ein völlig neues Phänomen, das zeigt, wie groß das Zerstörungsinteresse ist, mit der die Angriffe vorgetragen werden. Konsensfindung Fehlanzeige. Ganz offen zielen sie auch darauf ab, Unternehmen, Redaktionen, Universitäten und kulturelle Institutionen mit gezielten Attacken unter Druck zu setzen und dazu zu bringen, ihnen missliebige Personen, die sich ihrer Meinung nach nicht politisch korrekt verhalten, sogar mit Berufsverboten zu belegen. Die ehemalige Co-Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Bundestag, Sahra Wagenknecht, ist seit Jahren eine solche Persona non grata.
Sie ist wüstesten Angriffen und Rücktrittsforderungen aus der eigenen Partei ausgesetzt, mit dem Ziel, sie zu demontieren, was teilweise auch gelungen ist. Einen größeren Gefallen konnte die Linkspartei dem Regime nicht machen, stellte Wagenknecht doch aufgrund ihrer großen Popularität und Akzeptanz in der Bevölkerung eine ernst zu nehmende Gefahr für das herrschende und abgewirtschaftete politische Establishment und Bourgeoisie dar. Sie steht für eine klassische Linke im weitesten Sinn und kämpft bis heute gegen die feindliche Übernahme der Linkspartei durch bürgerliche, sich links dünkende Milieus wie die Identitäts„linke“ an, die die Organisation nach rechts verschieben wollen, um sie - so jedenfalls die Phantasie - aufgehübscht auf den Regierungskurs zu schicken.

Dies hat Wagenknecht zu einer Hassfigur gemacht, die es unter allen Umständen galt und gilt, vollständig auszuschalten. Seither setzen ihre Gegner in der Linken auf einen Dysphemismus, der sowohl von der Ampel als auch von den ihm anhängenden Medien seit den regierungskritischen Demonstrationen aufgrund Merkels „Migrationspolitik“ in die Welt gesetzt wurde: nämlich die Diffamierung der Teilnehmer alle samt als rechts, Nazis und AfD-nah.
Damals legte Wagenknecht bereits ein Veto ein und warnte davor, alle Teilnehmer über einen Kamm zu scheren und als Nazis zu diffamieren. Diese differenzierende Sicht brachte ihr allerdings nur Ärger ein, der noch größer wurde, als sie Merkels Schmierenkomödie der „offenen Grenzen“ entlarvte und die Forderung ihrer eigenen Partei nach „offenen Grenzen für alle“ als realitätsfern geißelte. Wenig verblüffend, dass Teile ihrer Partei — insbesondere die bildungslose verbürgerlichte Parteijugend — Merkel verteidigten, anstatt der Argumentation ihrer profilierten Frontfrau zu folgen.
Stattdessen fiel man ihr nach Kräften in den Rücken. Das Entzücken in den Medien war entsprechend groß. Wagenknecht wird seither als AfD-, sogar als Nazi-affin diffamiert, die Demagogie kennt keine Grenzen. Die haltlosen Vorwürfe sind natürlich nur ein Vorwand insbesondere für die Identitäts„linken“. Sie galt und gilt vielen ganz allgemein als Hindernis, das aus dem Weg geräumt werden muss, weil sie sich dem neuen identitätspolitischen Kurs in der Partei verweigert. Alle Register wurden gezogen, um dieses Ziel zu erreichen: Zermürbung durch Mobbing, persönliche Diffamierung, Herabsetzung und Entstellung der politischen Positionen in der Öffentlichkeit durch Kipping & Co. Gesundheitliche Schäden der Angegriffenen wurden billigend in Kauf genommen.

Die Zensur-Kommandos sitzen in der eigenen „linken“ Partei und in den Redaktionen der staatstragenden Medien, die miteinander kooperieren und sich gegenseitig die Bälle zuspielen. Identitäts„linke“ scheinen gar kein Interesse an einer Konsensfindung, an Bündnissen zu haben, um Ziele durchzusetzen. Im Gegenteil. Einigungen und Kompromisse werden nicht angestrebt und von vornherein verunmöglicht. Man mag das bedauern, aber es hat Methode. Sie wollen, dass ihre unverhandelbaren Dogmen widerspruchslos akzeptiert und befolgt werden, so schräg oder reaktionär sie auch sein mögen. Bei Nichtbefolgung wird die Keule ausgepackt.

Tatsächlich erkennen die Herrschenden das reaktionäre Potenzial linksliberaler Identitätspolitik, deren Entwicklung sie selbst angestoßen haben. Dazu aber später mehr. Willkommen ist die zersetzende Wirkung der Identitäts„linken“, die eine geschlossen handelnde Linke, die breite Bündnisse sucht, erst gar nicht aufkommen lassen.
Willkommen ist die Identitäts„linke“ auch beim Aufbau eines neoliberalen Systems. Als „Sprach-Polizei“ und „Türsteher ‚korrekter‘, das heißt fortan einzig gestatteter Sprech- und Schreibweise“ betreibt sie Desorientierung, die Sprach- und Denkzurichtung der Menschen und damit die angestrebte Durchsetzung der neoliberalen Ideologie. Willkommen ist ebenso die rücksichtlose Durchsetzungsfähigkeit der Identitäts„linken“, ihre Einschüchterungsversuche gegen Andersdenkende, die mit der Drohung einhergeht, im vorerst schlimmsten Fall sogar die berufliche Existenz zu verlieren.

Die „linke“ Identitätspolitik ist nicht nur angetreten, um politisches und „ideologisches“ Terrain einzunehmen. Mit zunehmendem Einfluss ist sie zugleich zu einem Beschaffungsprogramm für Jobs geworden. Identitäts„linke“ sind aufstiegswillig, es treibt sie, Teil des bürgerlichen Establishments zu werden, das gleiche Klientel, das die Linkspartei unter allen Umständen „bündnisfähig“ machen möchte, um im System endlich dazuzugehören. Identitäts„linke“ sind absolut systemkonform, ja opportunistisch und weit davon entfernt, grundlegende Veränderungen herbeiführen zu wollen. Der humane Anspruch ist lediglich eine Maske, hinter der sich knallhart das Gesicht des Totalitären und der Kampf um Pfründe innerhalb des bürgerlichen Establishments verstecken.
Umgekehrt kann „sich ein Teil der bürgerlichen, kapitalistischen Kräfte als LGBT-freundlich inszenieren (...), um sich ein liberales und progressives Image zu geben. Großkonzerne wie Apple oder Coca Cola, die Millionen von Arbeitern unter miesen Bedingungen ausbeuten, unterstützen LGBT-Kampagnen in ihrem Unternehmen, oder finanzieren völlig kommerzialisierte Regenbogenparaden. Die neoliberalen setzen sich für die gleichgeschlechtliche Ehe ein und stimmen im nächsten Atemzug dem Zwölfstundentag zu.
Um die rege Wissensproduktion von radikal scheinenden, aber in Wahrheit für die Herrschenden völlig harmlosen Ideen zu fördern, fließen abertausende Euros in die Finanzierung von Gender-Studies-Professuren an Unis und Queer-Studies-Stipendien, während linksliberale Medien und Verlage wohlwollend Pro-Queer-Artikel und Romane veröffentlichen.

Diese Praxis hat letztlich den Ausbau des Überwachungskapitalismus zum Ziel. Und so bringen die Identitäts„linken“ nicht selten die abstrusesten Verschwörungstheorien in Umlauf, um sie anschließend bekämpfen zu können. Arbeitsbeschaffungsmaßnahme könnte man das auch nennen.
Es geht bei dieser Strategie darum, seriöse Kritik mit verbreitetem Blödsinn zu vermischen, um Kritiker in die Ecke der Spinner zu schieben. Zudem soll verhindert werden, dass sich größere Teile der Gesellschaft dem berechtigten Protest anschließen, weil sie mit Radikalen nichts zu tun haben wollen. Abstruse Theorien sollen außerdem von den einflussreichen Kräften ablenken. Zur Durchsetzung von Macht und Herrschaft wird eine Parallel-Wirklichkeit hergestellt die, wie an einigen Beispielen dargestellt, mit der Realität auf Kollisionskurs steht. Da die Politik den Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern vollkommen abgebrochen hat, besteht ihr einziges Bestreben darin, durch Zensur, Gleichschaltung und Propaganda die Meinungsfreiheit zu beseitigen, um so die eigene Parallel-Wirklichkeit zur einzig möglichen Realität zu erheben.

Aus einer produktiven Streitkultur, die früher zum Selbstverständnis der Linken gehörte, ist eine Diffamierungskultur geworden, deren Ziel es ist, Einzelpersonen, wenn sie nicht spuren, zu schaden. Ein Verfallsprozess, der sich durch die Identitätspolitik rasant beschleunigt hat.
Die Hilfe der Neoliberalen hat sich ausgezahlt, sie war eine erfolgreiche Investition in die Zukunft. Sie lehrt zugleich, dass dort kluge Leute mit Weitsicht sind, die man nie unterschätzen sollte. Sich als links Verstehende sollten sich dies stets hinter die Ohren schreiben. Schaut man sich den Zustand der heutigen Linken an.

von ASKL