Bourgeoisie und Kapitalismus

Die Ausbeuter des Proletariats

Für Freiheit – Privatbesitz – freies Unternehmertum…!? Was für eine schöne Phrase! Diese Begriffe der Neoliberalen sind hervorragend geeignet, jungen, unbedarften BWL-Studenten die Hirnwindungen ein gehörig zu vernebeln. Doch gehen wir der Sache einmal auf den Grund. ,,Freiheit" ein schönes Wort, nicht wahr? Reisefreiheit, freie Meinungsäußerung, freie Wahlen … oder, wer sich noch erinnern kann: „eine freie Stimme der freien Welt“.
Welche Assoziationen verbergen sich nicht alles hinter diesen Worten! Und dann: Privatbesitz! Wie angenehm das doch klingt! Wer von uns wäre nicht auch gerne reich, oder doch zumindest wohlhabend? „Haste was, dann biste was“ – so sagt man. Und das Gegenteil? Die Habenichtse, die Nichtsnutze, diese Schmarotzer… ist das nicht furchtbar? Sie leben auf Kosten der Allgemeinheit, gehen nicht arbeiten, wie andere anständige Menschen… Na, und erst das freie Unternehmertum! Was für ein erhabenes Wort! Selbständig – selbst und ständig. Ohne Fleiß kein Preis! Das sind doch die wahren Leistungsträger unserer Gesellschaft – die Eliten! Stimmt’s?
Natürlich nicht! Viel zu oft hört man derartige plumpe Floskeln! Es handelt sich hier um einen billigen Propagandatrick, ein Irrglaube, wie ihn bürgerliche Ökonomen schon seit über hundert Jahren ihren Anhängern und den naiven in die Köpfe zu hämmern versuchen, damit diese nur allzeit eine Gesellschaftsordnung verteidigen, die lang schon ihre Unfähigkeit unter Beweis gestellt hat, die Menschheitsprobleme zu lösen, die im Gegenteil die Probleme nur noch mehr verschärft: der Kapitalismus.
Nur für einen äußerst geringen Teil der Menschen ist er ein Segen – für die übergroße Masse ist er ein Fluch. John Maynard Keynes, Friedrich August von Hayek, Ludwig Heinrich Edler von Mises und andere „Geistesgrößen“ waren die Stichwortgeber für dergleichen unwissenschaftliche Irrlehren. Nicht nur, dass es auch heute noch hunderte von Instituten, unzählige Seminare und Publikationen gibt, die diesen Unsinn verbreiten, derartige Theorien scheinen direkt zum Kult geworden zu sein, wenigstens aber doch zu einer Religion.

Doch zur Sache: Was ist Kapitalismus?
Der Kapitalismus ist eine ökonomische Gesellschaftsformation, die auf dem privatkapitalistischen Eigentum an den Produktionsmitteln, der privaten Aneignung der Ergebnisse der Produktion und der Ausbeutung der Lohnarbeit beruht. Er ist die historisch letzte Ausbeutergesellschaft. Die beiden sich gegenüberstehenden Klassen des Kapitalismus sind die Bourgeoisie (die Kapitalisten) als Eigentümer der Produktionsmittel und ökonomisch und politisch herrschende Klasse einerseits und die Arbeiterklasse (das Proletariat), die juristisch frei ist und als Nichteigentümer von Produktionsmitteln gezwungen ist, ihre Arbeitskraft an die Kapitalisten zu verkaufen.

Liest man die auswendig gelernten Äußerungen einiger vermögender Vertreter der heutigen Bourgeoisie, so könnte man tatsächlich den Eindruck erhalten, dass allein deren fleißige Arbeit die Quelle all ihres Reichtums sei, dass eben nur Leistung sich lohne, Sparsamkeit und der kluge Umgang mit Geld. Und dass der Staat nun mal damit nicht umgehen könne. Dergleichen abgedroschene Sprüche hört man immer wieder. Sie haben einzig und allein den Zweck, dem Esel die Möhre vor die Nase zu halten, damit er glaubt, das Ziel seiner Beteiligung, seiner „Teilhabe“ am großen Gewinn sei für ihn nun greifbar nahe. Er brauche nur noch sein Bestes geben und einen kleinen Schritt zu tun, und schon habe er es erreicht. So einfach, so plump.

In dem 1960 erschienenen Heft über „Die materiellen Grundlagen des gesellschaftlichen Lebens“ bemerkte der DDR-Philosoph Günter Heyden, eine besondere Rolle im Klassenkampf zwischen Bourgeoisie und Proletariat habe die von bürgerlichen Ökonomen aufgestellte These: „Die Arbeit ist die Quelle allen Reichtums“ gespielt. Wer sich mit der Geschichte der Arbeiterbewegung beschäftigt, weiß, dass diese Formulierung nicht stimmt. Doch immerhin hat sie Eingang ins „Gothaer Programm“ der deutschen Sozialdemokratie gefunden und wurde von Karl Marx in seiner Schrift „Kritik des Gothaer Programms“ widerlegt. Diese These läuft letzten Endes auf eine völlige Missachtung der natürlichen Produktionsbedingungen hinaus. Marx entlarvte in dieser Schrift besonders den bürgerlichen Klassencharakter dieser Auffassung. Er schrieb:
,,Die Arbeit ist nicht die Quelle alles Reichtums. Die Natur ist ebenso sehr die Quelle der Gebrauchswerte, als die Arbeit… Und soweit der Mensch sich von vornherein zur Natur, der ersten Quelle aller Arbeitsmittel und -Gegenstände, als Eigentümer verhält, sie als ihm gehörig behandelt, wird seine Arbeit Quelle von Gebrauchswerten, also auch von Reichtum. Die Bürger haben sehr gute Gründe, der Arbeit übernatürliche Schöpfungskraft anzudichten; denn gerade aus der Naturbedingtheit der Arbeit folgt, dass der Mensch, der kein andres Eigentum besitzt als seine Arbeitskraft, in allen Gesellschafts- und Kulturzuständen der Sklave der andern Menschen sein muss, die sich zu Eigentümern der gegenständlichen Arbeitsbedingungen gemacht haben. Er kann nur mit ihrer Erlaubnis arbeiten, also nur mit ihrer Erlaubnis leben." 
Mit diesen Worten betonte Karl Marx, dass das menschliche Leben, das sich durch die Produktion erhält und entwickelt, an die gegebenen Naturbedingungen gebunden ist. Diese sind eine unerlässliche Existenzbedingung der Menschen.

Die bürgerlichen Ideologen sind gezwungen, diesen Zusammenhang zu verschleiern, weil sonst ihre Phrasen von der „allgemeinen menschlichen Freiheit“, von der „Sozialpartnerschaft“ und vom „Wirtschaftsbürger“ im Kapitalismus zu leicht durchschaut werden könnten. Wenn man nämlich anerkennt, dass die menschliche Arbeit an bestimmte Naturbedingungen gebunden ist, dann muss man auch erkennen, dass der arbeitende Mensch dort, wo er durch Eigentumsschranken von den natürlichen Bedingungen seines Lebens getrennt ist, sein Leben nur erhalten kann, wenn der Besitzer dieser Naturbedingungen ihm zu arbeiten erlaubt. Unter diesen Umständen, die in allen auf dem Privateigentum an den Produktionsmitteln beruhenden Gesellschaftsordnungen und vor allem natürlich in der kapitalistischen Gesellschaft gegeben sind, bleibt der arbeitende Mensch immer Sklave der besitzenden Klasse.
Das traf bis 1990 in vollem Umfang auch für die BRD zu, wo im Unterschied zur Deutschen Demokratischen Republik der Grund und Boden den Großgrundbesitzern, die Bodenschätze und Fabriken den Monopolisten und Bankherren gehören, die als Besitzer der gesellschaftlich entscheidenden Produktionsmittel die Arbeiter und Bauern ausbeuten und politisch versklaven. Deshalb können sich die Werktätigen nur befreien durch die Enteignung der Großgrundbesitzer- und Monopolkapitalisten, die Überführung der Fabriken und natürlichen Reichtümer in die Hände des Volkes. Das gilt auch heute noch für jede kapitalistische Gesellschaft.

Bereits im Jahre 1904 hat sich Wladimir Iljitsch Uljanow (Lenin) mit diesen liberalistischen Ideen auseinandergesetzt. Er schrieb:
,,Als Ideologen der Bourgeoisie verstehen die Liberalen ausgezeichnet, dass der praktische Sinn, die Nüchternheit, der Ernst der Arbeiterklasse, das heißt die faktische Beschränkung ihres Tätigkeitsgebietes auf den Kapitalismus, auf Reformen, auf den gewerkschaftlichen Kampf usw. für die Bourgeoisie vorteilhaft ist. Gefährlich und bedrohlich ist die "revolutionaristische Beschränktheit" des Proletariats und sein Bestreben, im Namen seiner Klassenaufgaben die führende Rolle in der allgemeinen russischen Volksrevolution zu übernehmen. (...) Lloyd George suchte zu beweisen, dass eine Koalition der Liberalen mit den Konservativen, und zwar eine ‚enge‘ Koalition, notwendig sei, denn sonst könne die Arbeiterpartei siegen, die Lloyd George als Sozialistische Partei „zu bezeichnen vorzieht“ und die das „Gemeineigentum“ an den Produktionsmitteln anstrebe. „In Frankreich hieß das Kommunismus“, erläuterte der Führer der englischen Bourgeoisie in populärer Weise seinen Zuhörern, den Mitgliedern der parlamentarischen Liberalen Partei, die das bisher vermutlich nicht gewusst haben, „in Deutschland hieß das Sozialismus, und in Russland heißt es Bolschewismus“. Für die Liberalen, legte Lloyd George dar, sei das grundsätzlich unannehmbar, denn die Liberalen seien grundsätzlich für das Privateigentum. „Die Zivilisation ist in Gefahr“, erklärte der Redner, und deshalb müssten die Liberalen und die Konservativen zusammengehen. (…) Der Leser sieht daraus, dass Lloyd George nicht nur ein sehr kluger Mann ist, sondern auch viel von den Marxisten gelernt hat. Es wird nicht schaden, wenn auch wir von Lloyd George lernen."

Kurz: die Bourgeoisie wünscht sich möglichst handzahme, angepasste Arbeitssklaven, die keine revolutionären Flausen im Kopf haben, die möglichst nicht nachdenken und schon gar nichts hinterfragen: Wer profitiert denn vom produzierten Reichtum der Nation? Worin besteht denn das Recht der herrschenden Klasse auf Ausbeutung. Woher kommt denn die Armut? Und wie entstehen denn die Krisen? Ist es denn gerecht, wenn ein Hundertstel der Menschheit über fast 90% des gesamten Vermögens auf der Welt verfügen? Warum gibt es denn die Gleichberechtigung der Frau nur auf dem Papier? Warum müssen denn die Arbeiter ihre Rechte immer erst erkämpfen?