Friedensbewegung in der Bredouille

Das Märchen von der Querfront

Gehetzt wird aus allen Rohren – gegen die Friedensbewegung und gegen die kämpfenden Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter. Im „Focus“ sieht Kolumnist Jan Fleischhauer Sahra Wagenknecht in die Augen und sieht „das schwarze Herz der Leninistin“. Die „Süddeutsche Zeitung“ schimpft über die „Friedensmeute“. Andere schwärmten bei der Großkundgebung „Aufstand für den Frieden“ aus wie Spürhunde. Sie fanden inmitten der 50.000, die sich einig waren gegen Waffenlieferungen und Kriegstreiberei, ein knappes Dutzend, das sich rechts verorten ließ. Schon stand die Querfront. Dass Zehntausende bewusst und gemeinsam den NATO-Krieg gegen Russland ablehnten, wie es auch Hunderttausende der Unterzeichner des „Manifests für den Frieden“ und die Mehrheit der Bevölkerung tun – das interessiert die „Qualitätsmedien“ nicht. Sie spielen ihre Rolle als treue Einpeitscher der offiziellen Kriegspolitik. Lediglich oppositionelle Medien halten dagegen und werden dafür verleumdet.

Bereits in den 70er und 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde die Friedensbewegung in der Bundesrepublik von manchen Medien als „5. Kolonie Moskaus“ verdammt. Aber damals gab es bürgerliche Medien, die differenzierten, die sich um Objektivität bemühten. Überall ließt man von einer sich aufbauenden Querfront. 
,,Rechte entzückt über Wagenknecht – Sahra Wagenknecht wirft Deutschland einen Wirtschaftskrieg gegen Russland vor. Die Linksfraktion klatscht gemeinsam mit der AfD“, ereifert sich die taz in ihrer Online-Ausgabe vom 08. September. Der nicht gerade für validierte Einschätzungen bekannte Experte für Alles und Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) setzte am 20. September auf Twitter den Post ab: „Sarah Wagenknecht sagt gerade bei Markus Lanz, dass sie keine Waffen in die Ukraine liefern würde und Gas von Putin annähme. Ich erkenne keinen Unterschied mehr zur ,‚Haltung" der AfD. Moralisch ist das im Angesicht des Terrors Putins gegen alle Demokraten eine Bankrotterklärung.“ Der Talkmaster Lanz kanzelte kurz vorher Wagenknecht mit den Worten „Das ist dieser abfällige AfD-Sound, der da so reinkommt, dieses Eliten-Bashing“ ab. Wagenknecht wehrte sich: „Wo kommen wir hin, wenn wir etwas nicht benennen, weil die AfD applaudieren könnte?“ In der Tat verzeichnete das Sitzungsprotokoll verschiedentlich bei Wagenknechts „Wirtschaftskrieg-Rede“ am 08. September „Beifall bei der AfD“, so bei der an Wirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) adressierten Passage: „Ein Wirtschaftsminister, der nichts mehr liefert, muss leider tatsächlich keine Insolvenz anmelden“, oder Wagenknechts Aussage, „wie bescheuert“ es denn sei, „Millionen Familien in Deutschland in die Armut zu stürzen, während Gazprom Rekordgewinne macht“. Der Ampel-Koalition und ihren Apologeten in Redaktionsstuben und Fernsehstudios gibt dies genug Anlass, die Mär einer „Querfront“ zwischen Links und Rechts zu befeuern.

Die Zielsetzung ist offensichtlich: Jede Gegnerschaft zur herrschenden Kriegshysterie (oder allgemeinem Zeitgeist) und dem Geschrei nach immer mehr Waffen für die Ukraine, jede Kritik an der Energiepolitik der Ampel, die Monopolen nie gekannte Gewinnmargen sichert und im gleichen Atemzug die arbeitenden Menschen und sozial Schwachen der flächendeckenden Verarmung ausliefert, soll in die Ecke einer rechten antidemokratischen Verschwörung gedrängt werden. Dazu kommt die hämische Freude – gespeist durch Kommentare wie den von Ex-Linkspartei-Chef Bernd Riexinger: „Es gibt keinen ‚Wirtschaftskrieg gegen Russland‘“ – dass sich die Linke endlich „zerlegt“, wie man auf „Spiegel-Online“ vom 16. September nachlesen konnte. 

Die Funktion der AfD ist es, die Unzufriedenheit der Menschen mit den mehr und mehr für jeden ablesbaren Symptomen kapitalistischen Wirtschaftens umzulenken ohne dabei konkrete Lösungsansetze für reale Probleme zu liefern. Mit allen Mitteln soll verhindert werden, die Klassenfrage zu stellen. Stattdessen geht es allein um die Bewahrung deutscher Identität. Deutlich wird dies in der Rede der AfD-Vorsitzenden Alice Weidel am 07. September im Bundestag: Da sorgt die „illegale Migration“ für den Zusammenbruch der Sozialsysteme, da müssen die Staatsausgaben auf „das Wesentliche“, nämlich „innere und äußere Sicherheit“ konzentriert werden, den Schutz des „unternehmerischen Mittelstands“. Wie einfach gestrickt das Querfrontgerede ist, zeigt sich in der alltäglichen parlamentarischen Praxis. Niemand stört sich daran, dass FDP, CDU/CSU und AfD den Weiterbetrieb von Atomkraftwerken befürworten. Es ist weder Zufall noch Ausnahme, dass FDP und AfD die gleichen marktradikalen Positionen teilen, da sie programmatisch glühende Verteidiger des kapitalistischen Systems sind. Die im Jahre 2020 erschienene Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung „Abstimmungsverhalten der AfD im Bundestag“ bestätigt diesen Gleichklang mit unzähligen Beispielen. Der AfD „reicht es häufig aus, lediglich öffentlichkeitswirksam zu polemisieren oder zu kritisieren. Tatsächlich bemüht sich die AfD nur in den seltensten Fällen darum, wirklich alternative Politikangebote zu unterbreiten oder eigene Antworten auf aktuelle politische Herausforderungen zu geben“. Kein Grund sich beirren zu lassen.

Die Medien sind sich einig in ihrer Rolle. Sie haben Eigentümer, die ihre Interessen offensichtlich bei Kriegshetze und antirussischem Kampf am besten gewahrt sehen. Dass sich Journalistinnen und Journalisten hier einbinden lassen, ist schlimm. Wenn sich aber Kapital, nicht zuletzt die Rüstungsindustrie, Regierung und Medien für die eine Seite der Barrikade entscheiden, dann sollten auch die Kämpfenden auf der anderen Seite der Barrikade ihre gemeinsamen Interessen erkennen und gemeinsam agieren.

Wie kam es zu alldem? Ein Erklärungsversuch:
Es ist für viele noch immer eines der größeren Rätsel der letzten Jahre: Das politische Spektrum ist zum größten Teil seit 2020 auf Herrschaftslinie. Erst trat die „Covid-Linke“, getragen von Gewerkschaften, Antifa, NGOs bis hin zu Kommunistischen Parteien auf die Bühne. Ab 24. Februar 2022 tauchte die NATO-Linke auf. Zu großen Teil ist sie mit der „Covid-Linken“ identisch – aber nicht ganz – gerade marxistisch-kommunistische Gruppen machten beim Krieg gegen Russland nicht mehr mit. 

Das Dogma „sichere und wirksame Impfung“ wurde durch den Satz „völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands“ ersetzt. Dass die Mitverantwortung oder gar Hauptverantwortung an der Eskalation in der Ukraine die USA und ihre EU trägt, wird abgestritten. Wer das sagt, wird als Schwurbler beschimpft. Schon während Corona führte das zur Gründung der “Freien Linken” in mehreren Ländern – diese richtet aktuell einen offenen Brief an die ,,Herrschaftslinke“, der durchaus lesenswert ist. Dass die ehemaligen Kritiker der NATO, liegt wohl auch an der generellen ,,Liberalisierung” der Linken seit der Niederlage der Sowjetunion im Kalten Krieg. Seither traut man sich kaum mehr etwa eine positive Bezugnahme auf die DDR. (Obwohl die DDR der einzige Staat auf deutschem Boden ist, der keinen Krieg geführt hat.)

Aber wie war das möglich, dass linke Gruppen plötzlich zur Speerspitze der NATO im öffentlichen Diskurs wurden? Es ist von der NATO hart erarbeitet und die zeitgenössische Linke wurde wortwörtlich „verführt“, wie die Journalistin Lily Lynch in einem Artikel beschrieben hat. Startpunkt sei „eine noch nie dagewesene Pressekonferenz“ von NATO-General Stoltenberg und Angelina Joly gewesen. Sie datiert aus dem Jahr 2018. Thema: sexuelle Gewalt im Krieg. Lynch schreibt:
„Die beiden hatten gerade gemeinsam einen Artikel für den Guardian mit dem Titel ‘Why NATO must defend women’s rights’ verfasst. Der Zeitpunkt war bezeichnend. Auf dem Höhepunkt der #MeToo-Bewegung war das mächtigste Militärbündnis der Welt zu einem feministischen Verbündeten geworden.“

Im damaligen Artikel von Stoltenberg und Jolie hieß es:
“Die Beendigung der geschlechtsspezifischen Gewalt ist eine wichtige Frage des Friedens und der Sicherheit, aber auch der sozialen Gerechtigkeit. Die NATO kann bei diesen Bemühungen eine Führungsrolle übernehmen.”
Soziale Gerechtigkeit – ein neues Spielfeld für das angebliche „Verteidigungs- und Friedensbündnis“ NATO. Die NATO wird „progressiv“. Zuvor hatte sie sich bereits einer pazifistischen Öffentlichkeit als „europäische Friedensbewegung“ verkauft. Das hat geklappt, denn schnell marschierten die eigentlich traditionell neutralen Länder Schweden und Finnland nach dem 24. Februar 2022 Richtung NATO. Lynch: „Die Nato wird als ein Militärbündnis – und die Ukraine als ein Krieg – dargestellt, hinter dem selbst ehemalige Pazifisten stehen können. Alles, was ihre Befürworter zu singen scheinen, ist ‘Give war a chance.’ (Gib dem Krieg eine Chance).

Mit 2018 änderte sich die strategische Erzählung der NATO noch einmal. Stars als Werbemodels, Frauenrechte und Feminismus (und wenig später „Transgender“) als Themen, weibliche Führungspersonen: Annalena Baerbock oder Kaja Kallas aus Estland und ein aktives Auftreten im sogenannten „Meme-Krieg“ in den Sozialen Medien. Das macht die Troll-Truppe „NAFO“.
Gegen “Homophobie”, für Diversity und Transgender. Das ist die NATO.
Lynch verweist selbstredend auf die Grünen, die das beste Beispiel für den Wandel abgeben – vom militanten Pazifismus zum Pro-Kriegs-Atlantizismus: „Die meisten der ursprünglichen Grünen waren während der Studentenproteste von 1968 Radikale gewesen; viele hatten gegen amerikanische Kriege demonstriert. Die frühen Grünen setzten sich für den Austritt Westdeutschlands aus der NATO ein.“

Die Friedensbewegung muss solidarisch an der Seite der Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter stehen, weil jeder Cent, der für die Arbeiter und Angestellten erkämpft wird, nicht für Krieg und Hochrüstung verpulvert werden kann. Sie muss die Erkenntnis hineintragen, dass es der Wirtschaftskrieg gegen Russland ist, der immer mehr Menschen in diesem Land hungern und frieren lässt. Die Gewerkschaftsbewegung muss erkennen, dass Inflation und unverschämte Angebote die Kehrseite von Kriegspolitik und Hochrüstung sind. Eine Grundlage dafür ist sicher auch die notwendige Erkenntnis, dass Ursache und Beginn des Krieges in der Ukraine eben nicht der „russische Angriff“ vor einem Jahr war.

von ASKL