Der personifizierte Geschichtsrevisionismus

Bandera, die OUN und die ukrainische Gesellschaft

Kaum eine Person polarisiert im Zusammenhang mit der Ukraine sosehr wie Stepan Bandera. Für die einen ist er ein Nationalheld, für die anderen ist er ein Kriegsverbrecher. Im Westen und insbesondere ausgerechnet in Deutschland wird die Mär vom patriotischen Nationalhelden gerne geglaubt und sogar verteidigt. Wenn man sich jedoch die Fakten anschaut, kann man eigentlich nur zu einem Schluss kommen: 
Stepan Bandera war ein bekennender Nationalsozialist, Antisemit, Kollaborateur des deutschen Faschismus, ein Obersturmführer der SS und Offizier der faschistisch-deutschen Abwehr. Er ist verantwortlich für das Wolhynische Massaker, das Massaker von Babi Jar, den Massenmord an jüdischen, polnischen und ukrainischen Einwohnern und die Vernichtung des Dorfer Chatyn und weiterer Dörfer in Weißrussland.  
Daran gibt es nichts zu beschönigen und nichts zu erklären. Bandera war ein Faschist! Und es gibt weder einen Mythos noch irgendeine Legende, die das Märchen des tapferen Nationalhelden rechtfertigen könnte. Diese Verklärung ist eine Verhöhnung der Opfer des faschistischen Terrors in Polen und in der Sowjetunion.

Zu den Fakten:
Also, wer war Stepan Bandera? Er wurde im Dorf Staryj Ugryniw im Alt-Kalugaer Landkreis des Stanislawer Gebiets (Galizien), im damaligen Österreich-Ungarn (das heute zum Gebiet Iwano-Frankowsk in der Ukraine gehört), in der Familie des griechisch-katholischen Gemeindepfarrers Andrej Bandera geboren, der seine theologische Ausbildung an der Lwower Universität erhielt. Schon als Kind war er Mitgleid der ukrainischen Pfadfinderorganisation „Plast“ geworden, und wenig später trat er der Ukrainischen Militärorganisation (UMO) bei. 
In den 20er Jahren leitete Bandera die äußerst radikale „Jugendgruppe“ der Organisation der Ukrainischen Nationalisten (OUN). Schon zu dieser Zeit waren seine Hände mit ukrainischem Blut befleckt: Auf seine Anweisung wurden der Dorfschmied Michail Belezki, der Professor der Philologie des Lwower ukrainischen Gymnasiums Iwan Babi, der Student der Universität Jakob Batschinski und andere ermordet.
Zu dieser Zeit stellte die OUN enge Kontakte zu Deutschland her, zudem wurde ihr ständiges Stabsquartier nach Berlin, Hauptstraße 11, verlegt – unter der Bezeichnung „Bund ukrainischer Hauptfeldwebel in Deutschland“. Und Bandera selbst absolvierte in Danzig eine Agentenausbildung. Im Jahre 1936 wurde auf Befehl von Stepan Bandera in Lwow der Mitarbeiter des sowjetischen Konsulats Alexej Majlow ermordet. Kurz vor der Ermordung durch die OUN war der Resident des deutschen Geheimdienstes in Polen, Major Knauer, aufgetaucht, der faktisch der Instrukteur Banderas war.
Eine sehr wichtige Tatsache – als in Deutschland im Januar 1934 Hitler an die Macht kam, wurde das Berliner Stabsquartier der OUN mit den Rechten einer „Sonderabteilung“ in den Stab der Gestapo aufgenommen. In einem Vorort von Berlin, in Wilhelmsdorf, wurden aus Mitteln des deutschen Geheimdienstes Kasernen errichtet, wo auch die Soldaten der OUN und ihre Offiziere ausgebildet wurden. In dieser Zeit trat auch der polnische Innenminister General Bronisław Pieracki mit einer heftigen Missbilligung der Pläne Deutschlands zur Besetzung Danzigs auf, die nach den Festlegungen des Versailler Friedensvertrages zu einer „Freien Stadt“ unter der Leitung des Völkerbunds erklärt worden war. Hitler selbst hatte Richard Jary, den deutschen Geheimdienstagenten, der die OUN betreute, angewiesen, Pieracki zu beseitigen. Am 15. Juni 1934 wurde Pieracki dann von den Leuten Stepan Banderas ermordet, aber diesmal konnten die Nationalisten nicht entkommen. Sie wurden gefaßt und verurteilt. Für den Mord an Bronisław Pieracki wurden Stepan Bandera, Nikolaj Lebed und Jaroslaw Karpinez vom Warschauer Kreisgericht zum Tode verurteilt. Die übrigen, darunter auch Roman Schuchewitsch, wurden zu erheblichen Haftstrafen verurteilt.
Im Sommer 1936 wurden Stepan Bandera und andere Mitglieder der Landesexekutive der OUN vom Gericht in Lwow wegen der Durchführung terroristischer Handlungen angeklagt. Das Gericht verhandelte wegen Mordes u.a. auch gegen die Mitglieder der OUN Iwan Babij und Jakob Batschinski. Und so wurde Stepan Bandera sowohl vom Warschauer Gericht, als auch vom Lwower Gericht zu sieben Mal lebenslänglicher Halt verurteilt. Im September 1939, nachdem Polen von Deutschland okkupiert worden war, wurde Stepan Bandera freigelassen, und er begann aktiv mit der Abwehr, dem deutschen Militärgeheimdienst, zusammenzuarbeiten.
Am 14. August 1941 wurde in Berlin ein „Memorandum OUN-B (Bandera)“ (über die Bedingungen der Zusammenarbeit der OUN mit Hitlerdeutschland) unterschrieben (OUN - Organisation Ukrainischer Nationalisten). Insgesamt  wurden während der deutschen Okkupation in der Ukraine 5,3 Millionen Menschen der friedlichen Bevölkerung ermordet, und darüber hinaus noch 2,3 Millionen arbeitsfähige Bewohner zur Zwangsarbeit nach Deutschland deportiert.
Die Anhänger Banderas (Banderowzy) bemühten sich, bei der Zahl der Toten nicht hinter ihren angeblichen „Feinden“ (den Deutschen) zurückzustehen — von den Händen der Banderowzy wurden durch solche Strafaktionen wie in Chatyn oder wie bei dem Wolhynischen Massaker fast 2 Millionen Menschen ermordet, wobei weder Frauen, noch Kinder, noch Greise verschont blieben. Zur Veranschaulichung — siehe die Fotografien der Greueltaten der Banderowzy in Wolhynien und in Lwow.

Sogar die deutschen Nazis waren so stark sind von den Greueltaten OUN beeindruckt, dass sie Bandera bald verhafteten und ins Konzentrationslager Sachsenhausen brachen. Jedoch wurde Bandera nicht hingerichtet, sondern eine spätere Verwendung geschont, um die OUN später anzuführen. 
Insgesamt wurden durch Strafaktionen und bei Überfällen durch Angehörige der Strafkommandos der OUN getötet:
850.000 Juden;
220.000 Polen;
400.000 sowjetischer Kriegsgefangene;
500.000 friedlicher Ukrainer;
20.000 Soldaten und Offiziere der Sowjetischen Armee und der Rechtsschutzorgane;
4.00-5.000 Anhänger der OUN wegen ungenügender Grausamkeit und unterentwickeltem nationale Selbstbewusstsein. 

Die deutsche Organisation, die mit der OUN-UPA zusammenarbeitete, die Waffen-SS, wurde als verbrecherisch verurteilt. Außerdem ist anzumerken, dass der Nürnberger Prozess nur für die Verurteilung der Verbrechen der Nazis zuständig war, nicht aber für deren Kollaborateure. Wenn der Nürnberger Prozess auch die Verbrechen der Kollaborateure im Dienst des Dritten Reiches betrachtet hätte, so wären als Figuranten dieser Prozesse nicht nur die OUN-UPA, sondern auch Russischen Befreiungsarmee (Русская освободительная армия – РОА), die Kosaken Pjotr Krasnows, das Regime Vichys und die übrigen mit den Nazis zusammenarbeitenden nationalen Vereinigungen, Armeen und Regimes in Betracht gekommen. Tatsächlich gab es nicht dergleichen — zum Beispiel wurde der Führer des Vichy-Regimes Phillip Petain vom Obersten Gericht Frankreichs verurteilt.

Ein unwiderleglicher Beweis für die Zusammenarbeit Stepan Banderas mit den Nazis ist das Stenogramm des Verhörs des Abteilungsleiters der Abwehr des Berliner Bezirks, Oberst Erwin Stolz (vom 29. Mai 1945), in dem er sagte:
„(…) nach Beendigung des Krieges gegen Polen, bereitete sich Deutschland verstärkt auf den Kriege gegen die Sowjetunion vor und deshalb wurden bei der Abwehr Maßnahmen zur Aktivierung der subversiven Tätigkeit ergriffen. Zu diesem Zweck wurde der bekannte ukrainische Nationalist Bandera Stepan angeworben, der während des Krieges aus dem Gefängnis befreit wurde, wohin er von den polnischen Behörden wegen seiner Teilnahme an dem Terrorakt gegen Führer der polnischen Regierung gebracht worden war. Ich war der Letzte, der mit ihm Verbindung hatte.“

Drei Monate vor dem Überfall der Wehrmacht auf die UdSSR gründete Stepan Bandera aus den Mitgliedern OUN eine ukrainische Legion, die später in die Abteilung „Brandenburg-800“ einging und sich „Nachtigall“ nannte, nach dem ukrainischen „соловейка“. Das Regiment erfüllte spezielle Aufträge zur militärischen Diversion im Hinterland der Truppen der UdSSR.
Jedoch hatte Stepan Bandera nicht nur mit den Nazis, sondern auch mit den durch sie bevollmächtigten Personen Kontakt. So sind beispielsweise in den Archiven der Geheimdienste Dokumente darüber erhalten geblieben, dass die Bandera-Leute den Nazis auch selbst ihre Dienste anboten. Im Protokoll des Verhörs des Mitarbeiters der Abwehr J.D.Lasarek wird gesagt, dass er Zeuge und Teilnehmer der Verhandlungen zwischen dem Vertreter der Abwehr Eikern und dem Mitarbeiter Banderas, Nikolaj Lebed, war:
„Lebed erklärte, dass die Banderaleute die notwendigen Kader für die Diversanten Ausbildung geben werden, und auch einverstanden sind damit, das ganze Gebiet Galiziens und Wolhynien für Diversions- und Aufklärungsziele auf dem Gebiet der UdSSR zu nutzen.“
Für die Vorbereitung von Aufständen auf dem Gebiet der UdSSR, ebenso wie für die Aufklärung erhielt Stepan Bandera von Nazideutschland 2.500.000 Mark.

Auf die Organisation der Ukrainischen Nationalisten setzten die Deutschen in den Jahren des Großen Vaterländischen Krieges große Hoffnungen, doch erlaubte sich Stepan Bandera auch Freiheiten. Ihm wurde auf keine Weise gegönnt, sich als Oberhaupt eines unabhängigen ukrainischen Staates zu fühlen, doch er rief, das Vertrauen seiner Herren aus Nazideutschland missbrauchend, die „Unabhängigkeit“ des Ukrainischen Staates aus. Doch Hitler hatte seine eigenen Pläne. Ihn interessierte der Lebensraum, d.h. die Gebiete und die billigen Arbeitskräfte der Ukraine.
Der Trick mit der Ausrufung der Staatlichkeit war nötig, um der Bevölkerung seine Bedeutung zu zeigen. Am 30. Juni 1941 erklärte Stepan Bandera in Lwow die „Wiedergeburt“ des Ukrainischen Staates. Die Einwohner der Stadt reagierten zurückhaltend auf diese Mitteilung. Nach den Worten des Lwower Priesters, des Doktors der Theologie, Pater G. Kotelnik, waren zu diesen feierlichen Auflauf lediglich ein paar hundert Menschen aus der Intelligenz und der Geistlichkeit auf den Platz gejagt worden. Die Einwohner hatten beschlossen, nicht auf die Straße zu gehen, und die Verkündigung des Ukrainischen Staates nicht zu unterstützen.

Die Deutschen hatten, wie gesagt, hinsichtlich der Ukraine ihre eigenen Interessen, und von einer Wiedergeburt und ihrer Überlassung als Staat konnte selbst unter Herrschaft der Nazis keine Rede sein. Die Macht an die ukrainischen Nationalisten nur dafür abzugeben, auf einem Gebiet, das durch die regulären deutschen Militärformationen besetzt worden war, dass sie auch am Kampf teilnahmen und hauptsächlich die Drecksarbeit als Angehörige eines Strafkommandos und der Polizei gegen die friedliche Bevölkerung erfüllten, wäre von Seiten Deutschlands aus unsinnig gewesen. Dennoch stand Bandera den Faschisten ergeben zu Diensten. Davon zeugt auch den Text des Aktes der „Wiedergeburt des Ukrainischen Staates“ vom 30. Juni 1941:
„Der wiedergeborene Ukrainische Staat wird mit dem nationalsozialistischen Großdeutschland, das unter Leitung des Führers Adolf Hitler die neue Ordnung in Europa und der Welt schafft und dem ukrainischen Volk hilft, von der Moskauer Okkupation befreit zu werden, eng zusammenwirken. Die Ukrainische Nationale Revolutionäre Armee, die auf ukrainischem Boden entsteht, wird auch weiterhin gemeinsam mit der VERBÜNDETEN DEUTSCHEN ARMEE gegen die Moskauer Okkupation um die Souveräne Ukrainische Kathedrale Macht und die neue Ordnung in der ganzen Welt kämpfen.“ Eine solche Äußerung kommen einem durchaus bekannt vor, wenn zum Beispiel eine Ursula von der Leyen davon redet, dass die Ukraine für ,,unsere Westlichen Werte gegen die russischen Okkupanten kämpft."

Unter ukrainischen Nationalisten und vielen Beamten, die heute an der Spitze der Ukraine stehen, gilt der Akt vom 30. Juni 1941 als Tag der Unabhängigkeit der Ukraine, und Stepan Bandera, Roman Schuchewitsch und Jarosław Stećko als Helden der Ukraine. Aber was sind das für Helden, und wodurch unterschieden sich deren Methoden von denen Hitlers? Durch nichts...
Zum Beispiel haben die Anhänger Banderas nach der Verkündigung des Aktes über die Unabhängigkeit in Lwow ein Massaker veranstaltet. Die ukrainischen Nazis hatten noch vor dem Krieg „Schwarze Listen“ aufgestellt, und im Endeffekt wurden innerhalb von 6 Tagen in der Stadt 7.000 Menschen ermordet. Über das in Lwow von den Bandera-Leuten veranstaltete Massaker schrieb Saul Friedman in dem in New York erschienenen Buch „Die Anstifter des Progroms“:
„Innerhalb der ersten drei Tage des Juli 1941 ermordete hat das ‚Bataillon Nachtigall’ in der Umgebung von Lwows 7.000 Juden. Die Juden waren Professoren, Juristen, Ärzte. Sie wurden vor ihrem Tod gezwungen, alle Treppen vierstöckiger Gebäude abzulecken und den Müll mit dem Mund von einem Gebäude zum anderen zu tragen. Später zwang man sie dazu, mit gelb-blauen Armbinden durch die Reihen der Banditen zu gehen, wo sie sie mit Bajonetten erstochen wurden.“ 

Stepan Bandera war einer der Hauptinitiatoren der am 14. Oktober 1942 gebildeten „Ukrainischen Aufständischen Armee“ (UPA), und er war bestrebt, ihren Kommandeur Dmitrij Kljatschkiwski durch seinen Schützling Roman Schuchewitsch zu ersetzen.
Ja, und man muss hinzufügen, dass Bandera und noch eine Reihe anderer OUN-Leute einige Zeit praktisch unter Haftbedingungen im KZ „Sachsenhausen“ zubrachten, und daß er bis dahin in einem Wochenendhaus des faschistischen Geheimdienstes „Abwehr“ lebte. Die Deutschen taten das unter der weitgehenden Zielstellung, Bendera später für die illegale Arbeit in der Ukraine verwenden zu können. Auf diese Weise versuchten sie, ihm das Image eines Gegners von Deutschlands zu verschaffen. Andererseits befürchteten sie, daß man ihn für das in Lwow veranstaltete Massaker einfach beseitigen würde.
Die Tatsache des Aufenthalts von Bandera in einem deutschen KZ versuchen die ukrainischen Nationalisten, jetzt für eine Abrechnung der Nazis gegenüber ihm, einem Kämpfer gegen die Besatzer der Ukraine, auszugeben. Aber – so ist das nicht. Als die Bandera-Leute aus dem KZ entlassen wurden, wechselten sie frei ihren Aufenthalt, erhielten Lebensmittel und Geld. Bandera selbst besuchte die Schule für Agenten- und Diversionskader der OUN, die sich unweit vom Lager befand. Ausbilder an dieser Schule war der damalige Offizier des Spezial-Bataillons „Nachtigall“, Juri Lopatinski, durch den Bandera die Verbindung zur OUN-UPA erhielt, die auf dem Gebiet der Ukraine agiert hatte.

1944 säuberten die sowjetischen Truppen die westliche Ukraine von den Faschisten. Da sie eine Bestrafung befürchteten, flüchteten viele Mitglieder der OUN-UPA zusammen mit den deutschen Truppen. Zudem war der Haß der Einwohner gegen die OUN-UPA in Wolhynien und Galizien so groß, daß sie sie selbst auslieferten oder erschlugen. Bevor Stepan Bandera aus dem KZ entlassen wurde, reihte er sich ein in die Arbeit der 202. Abteilung der Abwehr in Krakau und begann, eine Diversionsabteilung der OUN-UPA aufzustellen.
Als unwiderleglicher Beweis dafür dienen die Aussagen des ehemaligen Gestapo-Mitarbeiters, Leutnant Siegfried Müller, der am 19. September 1945 zur Spionage in der UdSSR vorbereitet wurde.
„Am 27. Dezember 1944 habe ich eine Gruppe von Diversanten auf ihre Absetzung im Hinterland der Roten Armee mit den speziellen Aufgaben vorbereitet. Stepan Bandera instruierte während meiner Anwesenheit diese Agenten persönlich und übergab durch sie dem Stab der UPA den Befehl zur Aktivierung der Sprengarbeit im Hinterland der Roten Armee und richtete eine regelmäßige Funkverbindung mit dem ‚Abwehrkomando-202‘ ein.“

Als der Krieg sich Berlin näherte, wurde Bandera die Aufgabe übertragen, aus den Resten der ukrainischen Nazis Abteilungen zu bilden, um Berlin zu verteidigen. Den Abteilungen Banderas und ihm selbst gelang es jedoch, zu entkommen. Nach Kriegsende lebte er in München, arbeitete mit dem britischen Geheimdienst zusammen. Bei der Konferenz der OUN 1947 wurde er Vorsitzenden der Leitung der Gesamtorganisation der OUN gewählt. Am 15. Oktober 1959 wurde Stepan Bendera im Eingang seines Hauses getötet. Es fand eine gerechte Vergeltung statt.

Im Laufe des Großen Vaterländischen Krieges waren durch die Organisation der Ukrainischen Nationalisten und die Ukrainische Aufständische Armee Hunderttausende Menschen verschiedener Nationalitäten gefoltert und ermordet worden. Die Welt weiß und erinnert sich die ungeheurere Erschießung einiger Tausend Juden in Chatyn durch die Nazis. Die Tatsache ist unbestreitbar, aber man sollte noch über ein sehr wichtiges Moment berichten. Wer waren die unmittelbar Ausführenden? Es gibt die Version, dass es dieselben ukrainischen Nationalisten waren, die auch die Komplizen Stepan Banderas waren. Die Hitlerfaschisten führten die Drecksarbeit nur ungern selber aus, oft beauftragten sie ihre Lakaien damit. Dass Bandera und die OUN für die Deutschen nur nützliche Idioten waren, zeigt sich übrigens am besten durch Banderas Decknamen ,,Popel". 

Während man in der Ukraine aber auch im Westen von alldem nichts wissen möchte, ist man in Russland und anderen Ex-Sowjetrepubliken deutlich geschichtsbewusster. In der Sowjetunion waren die Verbrechen der Nazi-Kollaborateure bekannt. Als Abteilungsleiter beim Generalstaatsanwalt der UdSSR gehörte Iljuchin zu den Ermittlern der Verbrechen der Wehrmacht in der Ukraine. Nach 1945 gab es eine Vielzahl von Strafprozessen, in denen Nazi- und Kriegsverbrecher verurteilt worden waren. Doch bei weitem nicht alle wurden gefasst. Einigen gelang es, sich mit dem Rückzug der Wehrmacht nach dem Westen abzusetzen. Sie fanden in der BRD, in den USA und in einigen südamerikanischen Ländern Unterschlupf. So auch Bandera, der bis 1959 unbehelligt in München lebte und nach dessen Tod sogar ein pompöses Grab erhielt. 

Der russische Kommunist Prof. Iluchin schrieb bereits vor einigen Jahren eine ausführliche Analyse zum Bandera-Kult in der Ukraine. So schrieb er bereits 2009:
,,Der alljährliche Gaskonflikt zwischen Russland und der Ukraine ist nichts anderes, als ein Versuch der ukrainischen Führung, unseren russischen Staat nicht nur vor dem Westen, sondern auch von seinen Bürgern zu diskreditieren. Die antirussische Politik auf dem Weg zur Unabhängigkeit gehört schon beinahe zum Wesen bei unserem slawischen Nachbarn. Wir stellen fest, wie in Schulen und staatlichen Institutionen die Verwendung des Russischen verboten wird, der Stützpunkt der russischen Kriegsflotte soll aus Sewastopol verdrängt werden, die wirtschaftlichen und kulturellen Kontakte werden immer weniger. Die Veteranen der Sowjetischen Armee werden unterdrückt und die Denkmäler für die Soldaten und Befreier des ukrainischen Volkes von den faschistischen Eroberern werden zerstört.
Gleichzeitig wird in der Ukraine eine Politik der Verehrung militanter Nationalisten aufgezogen, derjenigen nämlich, die einst reichlich das Blut ihrer eigenen Landsleute vergossen hatten, die die Sowjetmacht unterstützten, und damit auch jener Menschen, die der werktätigen Bevölkerung der westlichen Ukraine die Freiheit von Ausbeutung durch die Bourgeoisie der Pans gebracht hatten. Unter dem Druck der Führung des Landes und insbesondere durch den damaligen Präsidenten Juschtschenko wurde Stepan Bandera, dessen Porträt man jetzt in jeder allgemeinbildenden Schule sehen kann, nach dem Straßen benannt wurden, und dessen erneuerte Biografie von den Studenten an den Hochschulen studiert wird, zum Symbol ihres nationalen Patriotismus."

Gegen solch eine zynische nationale Politik treten Hunderttausende Ukrainer auf. Von den staatlichen Massenmedien nicht zugelassen, bemühen sie sich, ihren eigenen Landsleuten und der Bevölkerung anderer Ländern die Wahrheit über jene Verbrecher zu vermitteln. Iluchin berichtet, dass er Dutzende Briefe aus der Ukraine erhalten habe, die über die Repressalien berichten, mit denen der Staatsapparat gegen diejenigen vorgeht, die damit nicht einverstanden sind, wie die historische Wahrheit entstellt wird, wie man erneut die blutigen Biografien dieser Verbrecher verändert. In einem ausführlichen Schreiben, das er von I. Tscherkaschtschenko, einem ukrainischen Patrioten, erhielt, sind beunruhigende Informationen über Fackelumzüge enthalten, die aus Anlass des Geburtstags von Stepan Bandera nun wieder in der Ukraine durchgeführt werden. Das alles erinnere an das nazistischen Deutschland, als die Faschisten solche Aufmärsche in den Straßen Berlins oder Nürnbergs durchführten.

Als Iljuchin noch Abteilungsleiter beim Generalstaatsanwalt der Sowjetunion für die Kontrolle der Einhaltung der Gesetze über die Staatssicherheit war, nahm er an der Untersuchung der Verbrechen der faschistischen Wehrmacht in der Ukraine, in Weißrussland und anderen Gebieten teil. Durch die Hände und ins Bewusstsein der Ermittler gelangten viele Dokumente und Zeugenaussagen über ihre Verbrechen gegen die Menschlichkeit, darunter auch die des Stepan Bandera. Heute werden die historischen Tatsachen verzerrt, ihnen wird eine neue Interpretation verpasst, und die faschistoiden Henker werden, wie gesagt, in den Rang von Helden erhoben.

Als ich dachte diesen Artikel fertig geschrieben zu haben, machten mir zwei Ereignisse einen Strich durch die Rechnung. Doch fangen wir von vorne an. Was ist passiert? 

Ottawa, Kanada 25. September 2023. Wladimir Selensky, Kanadas Premierminister Justin Trudeau und Abgeordnete des kanadischen Parlaments haben im Rahmen eines Besuchs des ukrainischen Präsidenten  in Ottawa am Freitag einen ehemaligen SS-Angehörigen geehrt. Jaroslaw Hunka sei ein Veteran des Zweiten Weltkriegs, welcher ,,für die ukrainische Unabhängigkeit gegen die Russen kämpfte und heute weiterhin die Truppen unterstützt", sagte der Sprecher des kanadischen Parlaments. ,,Er ist ein ukrainischer Held, ein kanadischer Held, und wir danken ihm für seinen Wehrdienst." Der heute 98-jährige Hunka, der aus Bereschany bei Ternopol stammt, war 1943 als Freiwilliger in die für Massenmorde an Juden und Polen sowie andere schwere Kriegsverbrechen verantwortliche bereits oben erwähnte Waffen-SS-Division ,,Galizien" eingetreten und hatte sich nach der Niederlage Hitlerdeutschlands nach Kanada abgesetzt.

Zunächst wurde versucht diesen Fauxpas unter den Tisch zu kehren. Mit der Zeit ließ sich dieser Skandal jedoch nicht mehr verschweigen und der kanadische Premierminister sah sich genötigt eine Stellungnahme abzugeben:
,,Offensichtlich ist es extrem verstörend, dass das passiert ist. Das ist etwas, das für das Parlament von Kanada zutiefst peinlich ist... Es wird wirklich wichtig sein, dass wir uns alle gegen die russische Propaganda und die russische Desinformation zu stellen und unsere standhafte und unmissverständliche Unterstützung für die Ukraine fortsetzen"
Was russische Propaganda damit zu tun hat, dass Trudeau und das gesamte kanadische Parlament einen Nazi ehrt – weiß vielleicht nicht einmal Trudeau selbst.

Auch in der Bundesregierung tut man sich schwer faschistische und rechtsextreme Elemente zu erkennen, benennen und zu verurteilen. 
Sie hat eine Kleine Anfrage mit dem Titel ,,Rechtsextreme Ausprägungen der ukrainischen Geschichtspolitik" der Bundestagsabgeordneten Sevim Dagdelen (Die Linke) mit einem großen Nichts beantwortet.
Fast alle der insgesamt 25 Fragen, wurden vom Auswärtigen Amt mit der Floskel ,,Der Bundesregierung liegen hierzu keine eigenen, über Medienberichte hinausgehenden Erkenntnisse vor" abgebügelt. Man mache sich die ,,rechtlichen Wertungen und Tatsachenbehauptungen" der Fragesteller, die sich vorwiegend auf die OUN und den Banderismus beziehen, ,,insbesondere hinsichtlich der pauschalen Einordnung bestimmter (historischer) Gruppierungen oder Personen als rechtsextrem, antisemitisch, antiziganistisch oder sonst rassistisch, ausdrücklich nicht zu eigen", heißt es in der Vorbemerkung der Bundesregierung – eine Aussage, auf die sie in ihren weiteren "Antworten" siebenmal verweist.
Damit widerspricht die deutsche Regierung objektiv der weltweit anerkannten Historiographie des ukrainischen Faschismus und dessen Kollaboration mit dem Dritten Reich. ,,Die OUN kämpfte nicht einfach nur für eine unabhängige Staatlichkeit. Sie kämpfte für das, was sie eine ›Ukraine für die Ukrainer‹ nannte, in der Juden und die meisten Polen und Russen eliminiert" würden, schreibt etwa der US-amerikanisch-kanadische Historiker John-Paul Himka, einer der renommiertesten Experten der Geschichte der OUN und ihrer Rolle in der Schoah und dem Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion.
,,Das faktische Bestreiten wissenschaftlicher Erkenntnisse der internationalen Holocaustforschung durch vorgebliches Nichtwissen" reihe sich ein in Vorfälle wie ,,die unsägliche Ehrung des SS-Manns Jaroslaw Hunka im Parlament des NATO-Mitglieds Kanada als ›ukrainischer Held‹", kommentierte Sevim Dagdelen das Verhalten der Bundesregierung gegenüber der ,,junge Welt".
Weiter meint Dagdelen: ,,Es ist ein geschichtspolitischer Super-GAU, wie die Ampel hier den seit 1945 bestehenden Konsens aufbricht". Dass die deutsche Regierung nicht einmal der in der Anfrage der Linksfraktion enthaltenen Aussage zur fortschreitenden Rehabilitierung Stepan Banderas und anderer ukrainischer Faschisten – ,,eine positive Sichtweise auf historische Organisationen und Persönlichkeiten, die sich mitschuldig am Holocaust und an NS-Verbrechen gemacht haben, kann in keiner Weise hingenommen werden" – zugestimmt hat, untermauert diesen Vorwurf. Ebenso die unappetitliche Tatsache, dass Annalena Baerbocks Ministerium vor einigen Monaten Vertreter des in der Tradition der OUN stehenden ,,Asow"-Bataillons empfangen hat. Dagdelen warnt vor brandgefährlichen Folgen: ,,Wer wie das von den Grünen geführte Außenministerium die Nazikollaborateure der Ukraine aus bloßem antirussischen Reflex weißzuwaschen versucht, hat wirklich jeden politischen Kompass verloren und rollt den Rechtsextremisten den roten Teppich aus."

von ASKL

Der böse Russe

Woher kommt der Hass auf Russland?

Regelmäßig erscheinen in den bürgerlichen Zeitungen, Rundfunkanstalten oder der Popkultur russenfeindliche Hass- oder Hetzbeiträge, bei denen man sich fragt, woher nehmen die Autoren nur ihre Verleumdungen? Woher kommt eigentlich dieser abgrundtiefe Russenhass? Da schreibt beispielsweise ein Leser, der sich als „normaldenkender Zeitgenosse“ bezeichnet, an seine Tageszeitung einen Leserbrief, der von Niedertracht nur so strotzt. Wir kennen ja die üblichen Beschuldigungen, dass die „Leichen im eigenen Keller“ kurzerhand dem politischen Gegner angedichtet werden.

Es ist nicht neu, wenn Begriffe vertauscht werden, die Russen von den Ukrainern und von ihren westlichen Kuratoren als ,,Nazis" beschimpft, und in gleicher Logik das faschistische Regime in Kiew beschönigend als „die ukrainische Regierung“ bezeichnet wird. Die Russen und insbesondere der russische Präsident Wladimir Wladimirowitsch Putin werden als „Barbaren“ dargestellt, denen man alle nur denkbaren Verbrechen anhängen kann: Mord und Totschlag, Plünderungen und Kindesentführungen. Wen wundert’s, wenn dann auch noch die „Kreml-Diktatur“ mit dem Hitlerfaschismus durch das ,,Z"-Symbol auf eine Stufe gestellt, und der faschistische Maidan-Putsch von 2014 mit dem Überfall der Nazis auf den Sender Gleiwitz gleichgesetzt wird. Dümmer geht’s nimmer! Sollte man meinen.

Es vergeht kein Tag, ohne dass die westlichen Medien und ihre Propagandisten in den Redaktionen vom „völkerrechtswidrigen Angriffskrieg“ auf die Ukraine faseln (Präsident Putin als „paranoider Aggressor“), und die ukrainische Seite angebliche „Erfolge“ bei ihrer Gegenoffensive im Kampf gegen die russischen „Invasoren“ zu melden haben. Ja, sicher! …es steckt ein „fanatischer Antiamerikanismus“ dahinter, falls da jemand noch die Frage stellt, woher das Selensky-Regime seit über einem Jahrzehnt seine militärischen und finanziellen Zuwendungen bezieht. Der militärisch-industrielle Komplex der NATO und seine Fürsprecher, die Rüstungslobbyisten im deutschen Bundestag, beklagen heuchlerisch und mit besorgter Attitüde die zivilen Opfer und die vielen Kinder, die angeblich durch russische Raketen umgekommen seien, während Bundeswehroffiziere selbstbewusst verkünden, dass man sich auf einen langen Krieg werde einstellen müssen, und die Bundeswehr der Ukraine selbstverständlich „helfen“ werde (dem mit Faschisten kuschelndem Regime in Kiew – wohlgemerkt!).

Dass der Krieg der Ukraine gegen die eigene Bevölkerung im Donbass nicht erst am 24. Februar 2023, sondern bereits 2014 begonnen hat, als die ukrainische Armee zielgerichtet Schulen, Krankenhäuser, Kindergärten und belebte Wohngebiete bombardierte. Kein Wort darüber in ,,unseren" Medien, dass mindestens acht bis zehntausend unbewaffnete Menschen, darunter Hunderte Kinder, diesem Terror zum Opfer fielen, und ein Ende dessen ist nicht abzusehen. Nein – die Lüge beginnt schon mit dem eigentlichen Kriegsbeginn. Es war ein Völkermord! Und der deutsche Bundeskanzler Scholz kommentierte das mit einem Wort, er nannte es „lächerlich!“ Kann man eigentlich noch zynischer sein? Dass heute ukrainische Soldaten an der Front, schlecht ausgebildet, unzureichend bewaffnet und schutzlos den russischen Gegenangriffen ausgesetzt sind, buchstäblich als Kanonenfutter geopfert werden – auch davon in den NATO-Medien kein Wort. Und es herrscht peinliches Schweigen, wenn man auf Hitlerkollaborateure, wie Stepan Bandera, Melnyk und Schuchewitsch zur sprechen kommt, die heute den ukrainischen Nazis als Vorbild dienen, und wenn in den USA und auf ukrainischer Seite immer wieder Hakenkreuz-Fahnen und bei den ukrainischen Soldaten nazistische Tätowierungen auftauchen (alles Einzelfälle).

Der Russenhass hat eine lange Geschichte. In seinem 1947 erschienenen Buch über den Bewahrer und Verteidiger des russischen Reiches, „Iwan Grosny“ schreibt Professor Wipper:
,,Es würde zu viel Zeit in Anspruch nehmen, auf jene Tendenzen und Stimmungen einzugehen, die sich in der deutschen Wissen­schaft nach dem Ersten Weltkriege von 1918 an herauszubilden begannen, doch ihr Wesenskern lässt sich in wenigen Worten defi­nieren. In Deutschland erstarkte ein kriegerischer Nationalismus, für den blindwütigen, verbohrten Faschismus wurde der Boden vorbereitet."

Ein Großteil der deutschen Gelehrten, die sich mit dem Ver­lust der Denk- und der Lehrfreiheit abgefunden, sich der feudalen Disziplin willig unterworfen und nicht einmal das Niveau der libera­len bürgerlichen Wissenschaft erreicht hatten, fügten sich den Wei­sungen der Obrigkeit; diese Obrigkeit aber rief die ganze deutsche Bevölkerung auf, nach Osten zu marschieren, um das Slawentum zu bekämpfen; in diesem Feldzuge war den Wissenschaftlern die Rolle der Vorkämpfer zugedacht: Beweise für die physische Untauglichkeit und die geistige Unfähigkeit der slawischen Rasse überhaupt und des russischen Volkes insbesondere zu sammeln.

Es ist leicht zu begreifen, warum die deutsche Wissenschaft so gierig nach Stadens Aufzeichnungen griff, hatte sie doch in dieser Schrift den ihr erforderlichen Anklageakt gegen das russische Volk gefunden, das sich auf eine „historische“ Grundlage stützende Vorwort zu dem geplanten Feldzuge gegen die Sowjetunion. Mit welcher Begeisterung vertieften sich die deutschen Wissenschaftler in Stadens „Anschlagk“, Moskowien zu einer Provinz des Heiligen Römischen Reiches zu machen! Mit welch verzücktem Jubel griffen sie den Aufruf Stadens zur Brandschatzung des russischen Landes auf: „Die Städte und die Dörfer sollen freie Beute der Kriegsleute sein!“ Wie gierig lauschten sie den Spottreden des deutschen Verräters über die Ignoranz und die Barbarei des russi­schen Volkes, über seine „Unfähigkeit“, seine Heimat zu verteidigen!
Zur Erklärung:
Heinrich von Staden (1545-1578), war ein deutscher Abenteurer und der Verfasser mehrerer Aufzeichnungen über den Moskauer Staat. „Anschlagk“ ist der Titel einer seiner Notizen. Diese handschriftlich vorliegenden Faszikel bewogen deutsche Historiker nach 1916 über das seelische Gleichgewicht und die angebliche Perversität Iwan Grosnys zu spekulieren. Man ging davon aus, wenn ein Autor ein Buch über den Moskauer Staat und dessen Bräuche schrieb, müsse Moskowien gleichfalls ein barbarisches Land sein, das nach grausamsten asiatischen Methoden regiert werde, ein unzivilisiertes Land, das an seiner Rückständigkeit und dem Mangel an Verbindung mit dem aufgeklärten Europa zugrunde gehen werde. Zudem hatte ein anderer Autor namens Fletcher im Ergebnis seiner 1589 nach Moskau unternommenen Reise die Russen als verlogen, unzuverlässig, gewalttätig und misstrauisch beschrieben, obwohl er keinerlei Beweise dafür zu erbringen vermochte. Vor diesem dunklen Hintergrunde musste sich um so strahlender die gesetzmäßige, sich auf die Charte gründende Regierung der Königin von England abheben.
Die Aufzeichnungen Stadens wurden im faschistischen Deutsch­land zum aktuellsten Buch, zur Prophezeiung, zum Zukunft Programm. Der mit seiner Hilfe neu belebte böswillige Mythos von der Unfähigkeit des russischen Volkes, seine Heimat zu verteidigen, wurde durch den Großen Vaterländischen Krieg widerlegt, von der helden­mütigen Roten Armee in alle Winde verstreut. Es ist die Aufgabe der Gelehrten der Sowjetunion, diesem großen Ereignis unserer Gegenwart die gebührende historische Auslegung zu geben.

Die nach marxistischen Methoden arbeitenden Historiker haben die Produktionsbeziehungen, die Teilung der Gesellschaft in Klassen und die Politik der jeweiligen Regierungen im Zusammenhang mit der sozialen Bewegung untersucht. Im Interesse einer erfolgreichen und sachgerechten Erforschung der Geschichte des 16. Jahrhunderts, insbesondere der Politik von Iwan Grosny, muss man die schon von Iosef Wissarionowitsch Stalin  aufgestellte und klassisch formulierte Grundthese vor Augen haben:
„In Russland wurde die Rolle des Vereinigers der Nationalitäten von den Großrussen übernommen, an deren Spitze eine historisch entstandene, starke und organisierte adelige Militärbürokratie stand.“ 

Und über die Russen schreibt Professor R. J. Wipper:
„Der Moskauer Staat lebt in dieser Zeit von seinen alten, im Laufe eines ganzen Jahrhunderts aufgespeicherten Kraftreserven. Die dem russischen Volk eigene gewaltige Energie, die sich bei der heldenmütigen Verteidigung Pskows im Jahre 1581 so glänzend bewährt hatte, war noch lebendig und nicht erschöpft.“ 

Und an anderer Stelle zitiert Professor Wipper einen zeitgenössischen Chronisten namens Balthasar Rüssow, einen grimmigen Gegner der Moskowiter:
„Dass aber die Russen“, bemerkt Rüssow, „in einer Feste so gewaltige, streitbare Leute sind, kommt aus diesen Ursachen her. Erstlich, dass es ein arbeitsam Volk ist und in der Not zu allerlei gefährlicher und schwerer Arbeit Tag und Nacht unverdrossen, und Gott bitten, dass sie für ihren Herrn selig sterben mögen. Zum Andern, ist es von Jugend auf zu Fasten und mit geringer Speise sich kümmerlich zu behelfen gewohnt; wenn es nur Wasser, Mehl, Salz und gebrannten Wein hat, kann es sich da lange genug mit behelfen, welches ein Deutscher nicht thun kann. Zum Dritten, wenn sie eine Feste, sei sie so gering, als sie immer will, mit Willen aufgeben, dürfen sie nicht wol wieder in ihr Land kommen; denn sie werden alle mit großen Spotte umgebracht; und in fremden Landen können und mögen sie nicht bleiben. Deshalb halten sie sich bis auf den letzte Mann und lassen sich lieber alle erwürgen, als dass sie mit Geleit in ein fremd Land passieren sollten. Aber einem Deutschen ist es gleich viel, wo er sich verhält, wenn er nur genug zu fressen und zu saufen hat.“

Wenn westliche Politiker und Publizisten sich öffentlich über Russland äußern, dann geschieht dies nahezu ausschließlich in negativer und dabei oft auch in stark abwertender Weise. Ihre Ausführungen sind regelmäßig von bösartigen Unterstellungen geprägt und auffallend häufig fehlt jedes Verständnis für die russische Perspektive. Äußerungen russischer Politiker und Publizisten werden durchgängig als Propaganda und Lügen bewertet. Der russische Präsident darf krass beleidigt und mit den übelsten Figuren der Weltgeschichte auf eine Stufe gestellt werden. Russische Soldaten werden ausschließlich als Kriegsverbrecher, Plünderer oder Vergewaltiger präsentiert, russische Journalisten als verschlagene Infokrieger, russische Unternehmer als kriminell, Beamte als korrupt, ja die gesamte Bevölkerung des Landes als mehr oder weniger autoritätshörig, homophob und rückständig.

Einige Zitate der Feinde Russlands
Condoleeza Rice: „Sibirien ist zu groß, es kann nicht einem Staat gehören. Die Frage über den Reichtum Sibiriens wird bald auf der Tagesordnung stehen. Die russische Föderation umfasst 2% der Weltbevölkerung, sie kontrolliert 15% der Erde und verfügt über 30% der Naturressourcen der Erde. Diese Situation kann nicht länger so bleiben.“
Zbigniew Brzezinsky: „Der kalte Krieg wurde mit dem Sieg einer der beiden Seiten und der Niederlage der anderen beendet. Wie auch bei der Beendigung anderer Kriege gibt es eine KAPITULATION. Dieser Moment ist am 19. November 1990 eingetreten. In der Erklärung, die äußerlich maskiert war als Freundschaftsvertrag, hat Michail Gorbatschow die Sowjetunion in die finale Etappe des kalten Krieges geführt, er nahm die Bedingungen des Siegers an, und das ist der Westen.“
Madleine Albright: „Wir reduzieren die Bevölkerung Russlands um 15 – 25 Millionen. Das reicht für die Versorgung der Erdgasleitungen aus.“
Hillary Clinton: „Unsere Aufgabe ist es, mit allen beliebigen Mitteln und mit Gewalt die Entwicklung Rußlands zu verhindern.“

In die Kritik ihrer Heimatländer geraten die westlichen Absender solcher Äußerungen dafür aber nie. Es scheint eine Art Selbstverständlichkeit in der etablierten politisch-medialen Landschaft zu sein, dass Russland in einer Weise kritisiert und dargestellt werden darf, die im öffentlichen Umgang mit anderen Ländern – auch mit kriegführenden – kaum vorstellbar ist. Die Verantwortlichen greifen dabei auf feststehende Denkschablonen und negative Russlandbilder zurück, die bereits seit Jahrhunderten in westlichen Ländern reproduziert und lediglich begrifflich aktualisiert werden. Diese Russlandbilder sind durch permanente Wiederholung zu einer Grundwahrheit im Westen geronnen, die kaum noch hinterfragt wird.

Der englische Ausdruck „Russophobia“ wurde Anfang des 19. Jahrhunderts in Großbritannien geprägt, als dortige Politiker und Leitmedien – nach dem Ende Napoleons – Russland als neuen, gefährlichen Gegenspieler des Empire im öffentlichen Bewusstsein platzierten. Neu war das Phänomen auch damals nicht, nur fand sich ein prägnanter Begriff dafür. Der Ausdruck Russophobie stellte die Angst ins Zentrum – Angst vor russischer Ausdehnung in die Einflusszonen des damaligen englischen Weltreiches, etwa im Iran oder in Indien. Die „Russian Scare“ nahm derartige Ausmaße an, dass sogar der weit abgelegene Inselstaat Neuseeland in den 1880er Jahren eine Reihe von Küstenfestungen baute, um einen vermeintlichen russischen Angriff abzuwehren.
Das Phänomen Russophobie umfasst jedoch nicht nur Angst, sondern steht insgesamt für eine vorurteilsbehaftete, misstrauische und feindselige Haltung gegenüber Russland. Im deutschen Sprachgebrauch ist denn auch manchmal von Russlandhass oder Russenfeindlichkeit die Rede. Der Begriff bezeichne „eine ablehnende Haltung gegenüber Russland, den Russen oder der russischen Kultur“, so die dezente Definition in der deutschen Wikipedia. Während keine Variante des Begriffs im Duden auftaucht, heißt es im Collins English Dictionary deutlich: Russophobie sei „ein intensiver und oft irrationaler Hass auf Russland“.

Der Historiker Oleg Nemensky kritisiert solche Definitionen als trivial. Der Forscher von der Russischen Akademie der Wissenschaften hat sich tiefer gehend mit dem Phänomen befasst. Feindselige Haltungen habe es in der Geschichte überall und gegen zahlreiche Länder und Völker gegeben, schreibt er. Russophobie reiche jedoch viel weiter. Es handle sich um eine nahezu ganzheitliche Ideologie.
„Das heißt ein besonderer Komplex von Ideen und Konzepten, der seine eigene Struktur, sein eigenes Begriffssystem und seine eigene Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte in der westlichen Kultur sowie seine typischen Erscheinungsformen hat. Das nächstliegende Pendant zu einer solchen Ideologie ist der Antisemitismus.“

Diese Parallele sieht auch der Schweizer Journalist und Politiker Guy Mettan, der 2017 ein Buch zum Thema Russophobie veröffentlichte. Auf Seite 21 heißt es : Wie der Antisemitismus sei die Russophobie „kein vorübergehendes Phänomen, das mit bestimmten historischen Ereignissen verbunden ist; sie existiert zuerst im Kopf desjenigen, der sie sucht, und nicht im angeblichen Verhalten oder den Eigenschaften des Opfers. Wie der Antisemitismus so ist auch die Russophobie eine Methode, bestimmte Pseudotatsachen in wesensmäßige, eindimensionale Werte zu verwandeln, im Falle Russlands in Barbarei, Despotismus und Expansionismus, um Stigmatisierung und Ausgrenzung zu rechtfertigen.“ Er betont darin außerdem den rein westlichen Charakter des Phänomens, das es in anderen Teilen der Welt nicht gebe. Russophobie sei in der westlichen Hemisphäre tief im Unterbewusstsein der Menschen verwurzelt und geradezu ein Teil der hiesigen Identität, die Russland als Gegner brauche, um sich ihrer selbst und ihrer vermeintlichen Überlegenheit zu vergewissern.

Uneinigkeit herrscht darüber, wann diese Haltung historisch entstanden ist. Der Journalist Dominic Basulto, der Russophobie vor allem als mediales Phänomen versteht, schrieb in seinem Buch „Russophobia“ (2015): Die westlichen Narrative über Russland existierten bereits seit mehr als 150 Jahren. Es handele sich um ein „zyklisches Phänomen“, denn Erzählungen von einem guten Russland tauchten immer dann auf, wenn dieses sich in einer Schwächephase befinde, während Geschichten von einem bösen Russland in westlichen Medien dann zum Tragen kämen, wenn das Land sich „durchsetzungsfähig“ zeige. Diese Narrative seien de facto zeitlos und inhaltlich geradezu mythologisch.
Oleg Nemensky geht weiter zurück und argumentiert, die Ideologie der Russophobie sei bereits im späten 16. Jahrhundert entstanden, als neben den heranrückenden Türken auch die Russen zu Feinden des europäischen Christentums erklärt wurden. Russland kämpfte im langen Livländischen Krieg (1558 bis 1583) gegen mehrere europäische Kräfte: Polen, Litauen, Dänemark und Schweden. Der polnische Adel, der territoriale Eroberungsziele in Russland verfolgte, spielte die Hauptrolle bei der ideologischen Rechtfertigung des Krieges im Westen und prägte damit das hiesige Russlandbild.
Der österreichische Historiker Hannes Hofbauer erinnert in seinem Buch „Feindbild Russland. Geschichte einer Dämonisierung“ daran, dass Polen und Russland auch bereits in den rund hundert Jahren zuvor fünf Kriege um Livland geführt hatten. „Das im Westen des Kontinents verbreitete Bild vom ‚asiatischen, barbarischen Russland‘ ist in dieser Epoche grundgelegt.“ (3) Es sei infolge politischer Interessen entstanden und eine Erfindung polnischer Intellektueller wie des Philosophen Johannes von Glogau, des Bischofs Erasmus Ciolek oder des Krakauer Universitätsrektors Johannes Sacranus gewesen, die ihre anti-russische Kriegspropaganda in Reden und auf Flugschriften in mehreren Sprachen europaweit verbreiteten.
Guy Mettan schließlich geht in seinem Buch sogar bis auf die christliche Kirchenspaltung zwischen der orthodoxen Ostkirche und der katholischen Westkirche (formell 1054) als Ausgangspunkt der anti-russischen Feindseligkeit zurück. Bereits damals sei ein grundsätzlicher Konflikt zwischen Ost und West propagandistisch konstruiert und von katholischer Seite mit negativen Zuschreibungen für die byzantinische Ostkirche und die orthodoxen Gläubigen gearbeitet worden. Die Zuschreibungen ähnelten bereits stark den späteren russophoben Stereotypen von Barbarei, Rückständigkeit und Despotismus.

Feindselige Russlandbilder entstanden also in verschiedenen Teilen des heutigen Westens zu verschiedenen Zeiten und aus verschiedenen Ursachen. Den Hintergrund bildete immer Machtpolitik, doch die Rechtfertigungen unterschieden sich: In der katholischen Kirche wurde die Russophobie religiös legitimiert, in Polen-Litauen war sie das Ergebnis direkter territorialer Konflikte, im Frankreich der Aufklärung war sie philosophisch motiviert, im England des „Great Game“ imperial, im Deutschland nach 1900 war sie stark rassistisch und in den USA des Kalten Krieges vor allem antikommunistisch begründet. All diese Entwicklungslinien und Quellen der Russophobie blieben über die Zeiträume latent oder ganz offen erhalten, um bis heute im politisch und medial vereinten Westen zu einem übergreifenden, einzigartigen und sehr machtvollen Phänomen zusammenzufließen.
Die Russophobie bedient sich dabei mehrerer wiederkehrender Stereotype, die manche Autoren auch als „Meta-Narrative“ bezeichnen. Ein genauerer Blick auf diese klassischen russlandfeindlichen Behauptungen lohnt sich, denn er legt die tiefen Wurzeln und die Hartnäckigkeit des negativen westlichen Russlandbildes offen.

Wenn Bundeskanzler Olaf Scholz der russischen Staatsführung heute unterstellt, sie wolle mit dem Einmarsch in die Ukraine ein Imperium aufbauen, bewegt er sich damit auf sehr alten russophoben Pfaden:
„Polen war nur das Frühstück … wo werden sie zu Abend speisen?“, argwöhnte der britische Politiker und Schriftsteller Edmund Burke bereits im Jahre 1772 zu Russlands Rolle bei der ersten Teilung Polens. „Wenn sich Russland auf dem Bosporus festgesetzt hat, wird es Rom und Marseille gleichermaßen schnell erobern“, orakelte die französische Zeitung ,,Spectateur" de Dijon im Jahr 1854 unmittelbar vor dem Krimkrieg. „Die Zukunft gehört Russland, das wächst und wächst und sich als immer schwererer Alb auf uns legt“, glaubte Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg 1914 kurz vor Beginn des Ersten Weltkrieges. Auch die „Domino-Theorie“ des Kalten Krieges gehört in dieses Muster.

Seit Jahrhunderten unterstellen Akteure der westlichen Öffentlichkeit den Anführern Russlands, ihren Herrschaftsbereich permanent auf Kosten der Nachbarstaaten erweitern zu wollen. Obgleich es solche russischen Eroberungen in der Geschichte mehrfach gab, so ignoriert dieses Narrativ jedoch gegenteilige historische Entwicklungen komplett. Der friedliche Abzug der Roten Armee und die Auflösung des Warschauer Vertrages nach 1990 beispielsweise hatten keinen nachhaltigen Einfluss auf das westliche Russlandbild, sondern wurden lediglich als Zeichen momentaner russischer Schwäche begriffen.
Entlarvend sind zudem Vergleiche mit westlichen Ländern: Die USA eigneten sich große Teile ihres Staatsgebiets durch Annexionen an und dehnten ihren Machtbereich danach weiter bis zur heutigen globalen Militärpräsenz aus. Auch die Nato befindet sich seit ihrer Gründung in andauerndem Expansionsmodus und steht heute an der russischen Grenze. Jahrhundertelang hatten zuvor europäische Kolonialmächte nahezu alle Weltregionen erobert, aufgeteilt und sich deren Reichtümer angeeignet. Doch nichts von alldem verwandelte die entsprechenden Staaten im westlichen Selbstverständnis zu „gefräßigen“ und weiterhin „hungrigen“ Imperien.

Das Stereotyp vom ewigen russischen Landhunger hingegen ist eine tragende Säule der Russophobie und geht zum Teil auf ein gefälschtes, aber sehr wirkmächtiges Dokument zurück. Verschiedene polnische, ungarische und ukrainische Autoren hatten im Verlauf des 18. Jahrhunderts ein Testament Peters des Großen erfunden und in Europa verbreitet, erläutert der englische Historiker Orlando Figes. Das Fantasiedokument, das in den 1760er Jahren ins Archiv des französischen Außenministeriums gelangte, sprach von umfassenden russischen Eroberungszielen von Europa über den Nahen Osten bis Hinterindien. Obwohl das vermeintliche Zarentestament frühzeitig als Fälschung erkennbar war, wurde es rund 200 Jahre lang von westlichen Außenpolitikern als Rechtfertigung für Kriege gegen Russland instrumentalisiert. Orlando Figes schreibt:
„Das ‚Testament‘ wurde von den Franzosen 1812 – im Jahr ihres Einmarsches in Russland – veröffentlicht, und fortan vervielfältigte und zitierte man es in ganz Europa als schlüssigen Beweis für die expansionistische russische Außenpolitik. Vor jedem Krieg, in den Russland auf dem europäischen Kontinent verwickelt war – 1854, 1878, 1914 und 1941 –, veröffentlichte man es erneut, und während des Kalten Krieges diente es dazu, die aggressiven Absichten der Sowjetunion zu erläutern.“

Auch heutige Unterstellungen, Russland würde nach einem Sieg in der Ukraine mit anderen osteuropäischen Staaten „weitermachen“, agierten im Geiste des gefälschten Testaments, kritisierte der russische Außenminister Sergej Wiktorowitsch Lawrow im Jahr 2022. Dass das Pamphlet eine Fälschung ist, war für russophobe Akteure seit jeher irrelevant, denn es passte ideal in das stereotype Bild: „Weil doch die Fälschung Russlands Politik besser charakterisiert als manche historische beglaubigte Wahrheit“, hieß es 1916 in der deutschen Kriegspropaganda zu dem Dokument. Adolf Hitler äußerte sich 1941 sehr ähnlich – und das, obwohl es in beiden Weltkriegen die deutsche Armee war, die in Russland stand und große Gebiete annektierte.

Das Stereotyp zeigt vor allem die Projektionen westlicher Machtpolitiker, die ihre eigene Denk- und Handlungsweise der russischen Führung unterstellen. Die bis heute herrschende westliche Weigerung, andere Gründe für russische Waffengänge zu akzeptieren als simple Eroberungslust und primitiven Landhunger, ist zudem ein zentraler Grund für die intellektuell äußerst beschränkten Konfliktanalysen, die im Westen in Bezug auf den aktuellen Krieg vorherrschend sind. Politiker und Publizisten, die sich nicht vorstellen können, dass der russische Einmarsch in der Ukraine der Verhinderung einer existenziellen Nato-Bedrohung des russischen Kernlandes dient – sondern der „Wiedererrichtung der Sowjetunion“ –, verhindern jede konstruktive Problemlösung und fördern stattdessen hochgefährliche politisch-militärische Entscheidungen.

Eine andere jahrhundertealte Konstante der Russophobie ist die Überzeugung, Russland sei rückständig und im Kern sogar wild und unzivilisiert bis zur Barbarei. Das Stereotyp wird auf den materiell-technologischen Entwicklungsstand Russlands genauso angewendet wie auf die geistig-kulturelle Verfasstheit der Bevölkerung. Regelmäßige Begleiterscheinung dieser Behauptung ist ein offensichtliches westliches Überlegenheitsgefühl und der Glaube daran, Russland müsse erst einmal das nachholen, was der Westen schon lange erreicht habe.
Die Überzeugung wird in ganz verschiedenen öffentlichen Diskursen sichtbar, egal ob es um russische Gesellschaftspolitik geht, um Wirtschaft und Technik oder um den aktuellen Krieg. Beschränkt man den Blick nur auf letzteres Thema, finden sich bereits zahlreiche Anklänge an dieses stereotype Russlandbild: Hiesige Politiker und Publizisten warfen Wladimir Putin vor, im Ukraine-Konflikt wie ein „Machthaber des 19. Jahrhunderts“ zu agieren. Regelmäßig ist zu lesen, die russische Armee habe nur noch „Uralt-Waffen“ und die Rüstungsindustrie werde ohne den Import fortschrittlicher westlicher Technologie bald zusammenbrechen. Russland führe auch diesen Krieg traditionell mit Masse statt Klasse, agiere mit „veralteten Doktrinen“. Ja, die russische Armee sei – im Gegensatz zur NATO – derart unprofessionell und barbarisch, dass sie außer Kriegsverbrechen nichts auf die Reihe kriege.

Das Stereotyp der russischen Rückständigkeit ist sehr alt und konnte sich historisch nur festsetzen, weil gegensätzliche Fakten im Westen beständig ignoriert wurden. „Russland ist wie eine andere Welt“, schrieb der Bischof Matvey von Krakau schon Mitte des 12. Jahrhunderts in einem Brief an den französischen Kreuzzugprediger Bernhard von Clairvaux. Doch so richtig Fahrt nahm das Stereotyp erst im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit auf, als Europa begann, eine Identität als gesonderter Kulturkreis auszubilden, was im Wesentlichen durch die Abgrenzung von anderen Kulturräumen geschah, erläutert der Historiker Christophe von Werdt.
„Russland spielte in diesem Wechselspiel von europäischer Identitätsbildung und Wahrnehmung des Fremden eine besonders wichtige Rolle. Denn in seinem Fall wurde Europa mit einem ‚fremden‘ christlichen Land konfrontiert, das es nicht kolonisieren und das es sich nicht kulturell angleichen konnte.“

Im 16. und 17. Jahrhundert kamen zunehmend Westeuropäer als Diplomaten, Söldner oder Kaufleute nach Russland und berichteten auch schriftlich über ihre Eindrücke aus dem unbekannten Land. Der Osteuropahistoriker Manfred Hildermeier schreibt, die kulturelle Distanz, die in den Aufzeichnungen zu Tage tritt, verband sich „mehr und mehr mit einem Überlegenheitsgefühl“. Deutsche Reisende berichteten beispielsweise erstaunt, dass die Russen nackt vor aller Augen im Fluss badeten. Männer und Frauen gingen nicht nach Geschlechtern getrennt, sondern zusammen in die fast überall befindlichen Saunen. Auch das öffentliche Schnäuzen, Spucken, Rülpsen oder Fluchen empörte damalige westliche Besucher.

„Was die Reisenden an Russland verurteilten, war nicht zuletzt die Vergangenheit ihrer eigenen Kultur. Dies mag auch die Überlegenheit erklären, die sie sich selber anmaßten, und verständlich machen, warum sie übersahen, was nicht in ihr Bild passte – etwa die häufigen Saunagänge der Russen (in einer Zeit, in der an europäischen Adelshöfen Parfum das Waschen ersetzte, die Verpönung der Darstellung von Nacktheit (…) oder der Umstand, dass kein Russe mit dem Schwert herumfuchtelte (schon weil er keines trug) und bei allem lauten Zank kein Blut floss. Die Reisenden erlagen keinem Missverständnis, sondern waren partiell blind.“

Der Schweizer Autor Guy Mettan zeigt die Selektivität im westlichen Urteil noch pointierter auf. Er vergleicht den populären Reisebericht des französischen Astronomen Jean Chappe d’Auteroche von 1761 mit dem zeitgleich entstandenen Bericht eines japanischen Bootskapitäns namens Kodayu, der zur selben Zeit dieselbe Strecke durch Sibirien bereiste wie der Franzose. „Jedoch scheinen sie zwei unterschiedliche Planeten zu beschreiben“, notiert Mettan, denn die Ausführungen der Reiseberichte könnten unterschiedlicher nicht sein.

Während d’Auteroche in Russland überall Rückständigkeit und Barbarei erkennt, beschreibt Kodayu nüchtern Alltag, Lebensumstände und gesellschaftlich-politische Verhältnisse. Beide Bücher nebeneinander zu lesen sei faszinierend, denn dies decke schmerzlich den Gegensatz auf zwischen der Unvoreingenommenheit des Reisenden aus Fernost und dem Drang des Westlers, von oben herab über andere zu urteilen und seinen vermeintlichen zivilisatorischen Vorsprung zu betonen.
Außerdem lässt sich argumentieren: Aus Sicht anderer Weltregionen war Russland eben nicht unterentwickelt oder unzivilisiert. „Wer dem Russischen Reich Rückständigkeit attestierte, maß es [ausschließlich] an der westeuropäischen Elle“, erklärt Manfred Hildermeier. Fortschrittlichkeit hätten die Westeuropäer immer nur bei sich selbst verortet. Der Osteuropahistoriker hält das Stereotyp der Rückständigkeit für so zentral, dass er ihm das gesamte Schlusskapitel seiner „Geschichte Russlands“ widmete.
Auch Fraktionen russischer Intellektueller und Teile der Oberschicht trugen zur Verfestigung des Konzepts bei, indem sie es übernahmen und einige Länder des Westens (Niederlande, Frankreich, Italien, Preußen) zu Vorbildern auf bestimmten Wissensgebieten erklärten, denen es nachzueifern gelte. Berühmtestes Beispiel ist sicherlich Peter der Große, der Russland nach seiner Europareise mit zahlreichen Reformen von oben in die europäische Neuzeit „peitschte“.
Rückständigkeit sei jedoch immer relativ, das heißt zeitlich befristet und auf bestimmte Bereiche begrenzt, schreibt Hildermeier. Heißt: Sobald ein Land in einem Sektor aufgeholt hat, kann es auf diesem Gebiet bald sogar führend werden. Die russischen Leistungen in Naturwissenschaften und Kunst des 19. Jahrhunderts oder in der Luft- und Raumfahrt des 20. Jahrhunderts stehen beispielhaft dafür. Russland ging zudem von der simplen Verpflanzung westlicher Innovationen unter Peter dem Großen in folgenden Jahrhunderten dazu über, solche Modelle kreativ und innovativ an die eigenen Gegebenheiten anzupassen – denn dort mussten sie funktionieren.
In Russland herrschen aufgrund seiner geografischen Ausdehnung große Diskrepanzen zwischen den Landesteilen, deshalb könne es auch kaum mit Ländern wie Frankreich, England oder Deutschland verglichen werden und deren vermeintliche Erfolgsmodelle nur begrenzt übernehmen. Worauf richtet man den Blick? Auf Provinzdorf oder Metropole? St. Petersburg und Moskau wurden am Vorabend des Ersten Weltkrieges in einem Atemzug mit Berlin, Paris und London genannt, argumentiert Hildermeier. Und auf welchen Teilbereich blickt man? Nach den Justizreformen Alexanders II. genossen russische Richter „eine Unabhängigkeit, die in Europa ihresgleichen suchte“. 

Doch mit solchen Differenzierungen gaben sich westliche Politiker und Publizisten seit Jahrhunderten nur selten ab. Nicht Puschkin, Gogol, Tolstoy oder Tschaikowsky standen für russische Kultur, sondern oft eher Flöhe und Läuse. Das frühe Stereotyp von Rückständigkeit und Barbarei der Russen, das westeuropäische Besucher einst schufen, blieb über die Jahrhunderte hartnäckig erhalten. Zwar wurde es begrifflich hie und da aktualisiert, doch im Kern klingen die herrschenden, abwertenden Urteile bis heute gleich:
Adam Olearius, deutscher Russlandbesucher (1656):
„Wenn man die Russen nach ihren Gemüthern / Sitten und Leben betrachtet / seynd sie billich unter die Barbaren zu rechnen (…) Seynd arglistig / hartnackicht / unbendig / widerwertig / verkehret / unverschembt zu allem bösen geneiget.“
Charles Maurice de Talleyrand, französischer Außenminister (1796 bis 1807):
„Das gesamte System [des russischen Reiches] (…) ist darauf angelegt, Europa durch eine Flut von Barbaren zu überschwemmen.“
George S. Patton, US-amerikanischer General (1945):
„Zusätzlich zu seinen anderen asiatischen Eigenschaften hat der Russe keine Achtung vor dem menschlichen Leben und ist ein absoluter Hurensohn, Barbar und chronischer Säufer.“
Die deutsche Tageszeitung BZ (2022):
„Sie plündern, vergewaltigen und foltern: So schuf Putin seine Barbaren-Armee“

Natürlich hat es Gräuelpropaganda und die Abwertung des Gegners in Kriegszeiten immer gegeben, aber gegenüber Russland herrscht diese herabwürdigende Sichtweise im Westen quasi permanent. Keines der Zitate stammt von Menschen, die sich im Krieg mit Russland befanden. Das Stereotyp vom barbarischen, unzivilisierten Russland scheint unerschütterlich.
Da diese Denkschablone im Westen zu einer Art unhinterfragter Wahrheit geworden ist, kommt es irgendwann zwingend zu Ereignissen wie dem „Sputnik-Schock“ (1957) – als die vermeintlich rückständige Sowjetunion überraschend den ersten Satelliten ins All schickte. Der französische Filmmacher Claude Lanzmann berichtet in seiner Autobiographie darüber, wie er 1961 bei einem Essen der High Society durch den Gastgeber davon erfuhr, dass gerade ein Russe als erster Mensch in den Weltraum geflogen sei. Lanzmanns Platznachbar, der spätere Premierminister und Präsident Georges Pompidou, konnte das überhaupt nicht glauben und entgegnete nur: „Das ist Propaganda!“

Die Verschlagenheit und Hinterhältigkeit der Russen ist ein weiteres immer wiederkehrendes Paradigma der Russophobie. Schon im 16. und 17. Jahrhundert identifizierten westliche Russlandbesucher Hinterlist und Verlogenheit als typische russische Charaktermerkmale – wohlgemerkt: nicht als Eigenschaften einzelner, sondern aller Russen. Laut russophober Logik müsse sich dieses allgemeine Charaktermerkmal dann auch in der russischen Politik widerspiegeln.
Dementsprechend sind zahlreiche Behauptungen, Russland agiere außenpolitisch immer mit Betrug und Lügen, für die folgenden Jahrhunderte dokumentiert. „Russlands Diplomatie ist, wie Sie wissen, eine lange und mannigfaltige Lüge“, behauptete etwa der britische Staatsmann George Curzon im Jahre 1903. Behauptungen dieser Art reichen bis zu heutigen Vorwürfen, Russland setze permanent Propaganda ein und manipuliere westliche Wahlen.
„In Zeiten des Friedens strebt Russland danach, nicht nur seine Nachbarn, sondern sämtliche Länder der Welt in einen Zustand der Verwirrung aus Misstrauen, Aufruhr und Zwietracht zu zwingen. (…) Russland bewegt sich nicht direkt auf sein Ziel zu (…), sondern es untergräbt die Grundlagen auf hinterhältigste Art.“

Diese Aussage über eine Art hybride russische Kriegführung klingt für die Ohren heutiger Mediennutzer durchaus vertraut, doch sie ist schon mehr als 200 Jahre alt und stammt vom französischen Diplomaten Alexandre d’Hauterive aus der Zeit Napoleon Bonapartes. Über die englischen Medien in der Zeit des Great Game schreibt der Historiker Orlando Figes:
„Das Klischee Russlands, das aus diesen überspannten Schriften hervorging, war das einer brutalen Macht, die von Natur aus aggressiv und expansionistisch, doch auch hinreichend verschlagen und betrügerisch war, um sich mit ‚unsichtbaren Kräften‘ gegen den Westen zu verschwören und andere Gesellschaften zu infiltrieren.“

Modernisiert klingen Behauptungen dieser Art dann ungefähr so wie bei der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (2017):
„In seinem Krieg gegen den Westen greift Russland auf verschiedene Instrumente zurück. Eine Reihe staatlich kontrollierter Medien (im In- und Ausland) werden zu Propagandazwecken genutzt – mit dem Ziel, das Vertrauen westlicher Gesellschaften in die eigenen Institutionen und politischen Eliten zu untergraben. (…) In der Konfrontation mit dem Westen bedient sich Russland jener Methoden, die in der Vergangenheit vornehmlich gegen ehemalige Sowjetstaaten („Nahes Ausland“) oder nicht-westliche Staaten verwendet wurden. Dies trifft insbesondere auf mit massiver Propaganda kombinierte, aggressive Cyberangriffe zu, die auf Einmischung in interne Angelegenheiten und eine Beeinflussung politischer Prozesse abzielen.“

An dieser Stelle muss nicht über die eklatante Doppelmoral solcher Analysen gesprochen werden, die die zahllosen westlich organisierten Wahleinmischungen, Putsche, Cyberangriffe und sonstigen hybriden Destabilisierungsversuche in Ländern weltweit einfach mal vergessen. Deutlich wird: Trotz ihres unterschiedlichen Alters sind die zitierten russophoben Behauptungen nahezu identisch und austauschbar. Und ähnlich wie beim Stereotyp des russischen Landhungers erhellt auch dieses Klischee vor allem die Projektionen westlicher Politiker und Publizisten. Besonders deutlich wird diese Logik beim Blick auf die Zeitphase 1917 bis 1919.

Nachdem Wladimir Iljitsch Lenin von den deutschen Machthabern nach Russland eingeschmuggelt worden war und dort den bolschewistischen Umsturz herbeigeführt hatte, wuchs unter den Herrschenden in Deutschland die Angst, solche „russischen Zustände“ auch hierzulande zu erleben, erklärt der Historiker Mark Jones. Deutsche Zeitungen nahezu jeder politischen Couleur erhoben im Januar 1919 den Vorwurf, Russen seien maßgeblich am Aufstand der Spartakisten in Berlin beteiligt und würden zum bewaffneten Kampf gegen Deutschland aufrufen.
„Diese Propaganda wurde weithin geglaubt und führte zu einer Zunahme der Ausländerfeindlichkeit bereits in der Gründungsphase der Weimarer Republik, die später im Dritten Reich weiter eskalierte. Tatsächlich stimmte nichts davon.“ 

Viele Politiker und Publizisten glaubten, jede Menge russisches Geld ströme nach Berlin und helfe, den Aufstand zu finanzieren, erläutert Jones weiter. Die russophobe Stimmungsmache in den Medien hatte blutige Folgen: Bei der Zerschlagung der Münchener Räterepublik im Mai 1919 verübten Regierungstruppen zahlreiche Gräueltaten. Der größte Einzelvorfall dieser Art war die Erschießung 53 russischer Kriegsgefangener am 2. Mai in Gräfelfing – unter dem Vorwurf, die Russen hätten für die Räterepublik gekämpft.
Das Stereotyp russischer Intrigen und Lügen erscheint auf vielen thematischen Ebenen. Die Abwertung jeder russischen Gegenposition als „Propaganda“ und „Lüge“ sei geradezu Kernbestandteil der Russophobie, schreibt Dominic Basulto in seinem Buch. So kann denn auch ein Land, dessen Führung immer lügt, keine staatlichen Medien haben, die legitimerweise die Perspektiven der eigenen Regierung im Ausland verbreiten, so wie dies die Staatsmedien anderer Länder tun. Nein, russische Staatssender müssen in den Augen russophober Menschen praktisch immer „Propagandasender“ sein.

Besonders erklärungsbedürftig beim Stereotyp der russischen Lüge ist die seit Jahrhunderten wiederkehrende Empörung westlicher Beobachter, über das europäische Äußere der Russen. Die Russen lügen quasi schon mit Kleidung und Aussehen. Der französische Schriftsteller Astolphe Marquis de Custine schrieb im Jahr 1839:
„Ich mache den Russen keinen Vorwurf daraus, dass sie sind, was sie sind; was ich ihnen vorwerfe, ist, dass sie vortäuschen zu sein, was wir sind. Sie sind noch immer unkultiviert (...) und sie folgen dabei dem Beispiel der Affen und entstellen das, was sie kopieren.“

Dass die Russen die französische Kultur „nachäffen“, schrieben auch französische Zeitungen im Vorfeld des Krimkriegs. Hier kollidieren die russophoben Klischees. Versuchen die Russen also ihre vermeintliche Rückständigkeit durch Orientierung am Westen zu beheben, dann ist es auch wieder falsch. Im Innern blieben sie eben doch halbwilde Barbaren.

Russen seien „Menschen mit europäischen Körpern und mongolischen Seelen“, schrieb der US-Journalist Ambrose Bierce 1911 in seinem „Wörterbuch des Teufels“. Bierce meinte das – wie jeden der rund 1000 Einträge darin – satirisch. Er spiegelte kritisch das Klischeedenken seiner Zeit. 2022 erklärte die Politikwissenschaftlerin Florence Gaub im ZDF: „Wir dürfen nicht vergessen, dass, auch wenn Russen europäisch aussehen, es keine Europäer sind, jetzt im kulturellen Sinne.“ Wichtig: Sie meinte das nicht im satirischen Kontext.

Das vermutlich wirkmächtigste Element der Russophobie ist das Stereotyp der russischen Tyrannei. Es besteht aus zwei Teilen, die sich gegenseitig ergänzen: ein dämonischer Anführer und eine Art Sklavenmentalität der russischen Bevölkerung.
Zar Iwan Wassiljewitsch IV. – im Russischen trägt er den Beinamen „der Strenge“, im Westen heißt er hingegen „der Schreckliche“ – sei eine Art Urtypus des grausamen russischen Herrschers, erläutert Oleg Nemensky. Der „schwarze Mythos“ des blutrünstigen Tyrannen, „dessen Brutalität angeblich alle denkbaren Grenzen überschritt“, entstand im 16. Jahrhundert zur Zeit des Livländischen Krieges und nahm den wichtigsten Platz unter den damaligen propagandistischen Russlandstereotypen ein, so der Forscher. Iwan der Schreckliche verband in westlichen Augen „die Symbolisierung des Bösen und der brutalen Macht mit der unterwürfigen Knechtschaft seiner Untertanen.“
Tatsächlich war Iwan IV. ein brutaler Herrscher Ob er damit allerdings als Machthaber für seine Zeit außergewöhnlich war, ist eher fraglich. Mit dem legendären Ruf Iwans des Schrecklichen wurde im restlichen Europa jedoch ein Image für russische Herrscher generell etabliert, das auch auf die russischen Regenten der folgenden Jahrhunderte grundsätzlich angewendet wurde: grausam, tyrannisch, brutal. Dass bald nach Iwan 31 Jahre lang Zar Alexej I. regierte, der den Beinamen „der Sanftmütigste“ trug, werden hingegen nur wenige je gehört haben.

Hier sollen nun nicht alle Beschimpfungen zitiert werden, die westliche Stimmen für die jeweils amtierenden russischen Anführer gebrauchten. Von der Bezeichnung Zar Peters I. als „größter Barbar der Menschheit“ (Montesquieu) bis zur Titulierung Wladimir Putins als „Killer“ (Joe Biden) wäre diese Jahrhunderte umfassende Liste ziemlich lang.
Zweifellos ist es in Kriegszeiten üblich, den Anführer einer gegnerischen Macht als personifizierten Teufel zu dämonisieren. Es gehört laut Arthur Ponsonby zu den Grundsätzen der Kriegspropaganda, den Hass auf die feindliche Führungspersönlichkeit zu richten. Doch in der russophoben Kultur vieler westlicher Länder gilt diese Logik eben auch in Friedenszeiten. Zwar lassen sich Ausnahmen russischer Anführer finden, die im Westen zeitweise positiv betrachtet wurden, weil sie Außergewöhnliches geleistet hatten – Alexander I. (Sieg über Napoleon), der Eroberung Berlins 1945 durch die Rote Armee unter Führung von Generalissimus Iosef Wissarionowitsch Stalin oder Michail Gorbatschow (Deutsche Wiedervereinigung) wären hier zu erwähnen. Doch in der Regel gilt das Gegenteil.

Die Tatsache beispielsweise, dass Wladimir Wladimirowitsch Putin im Jahr 2004 einen Ehrendoktortitel von der Universität Hamburg erhalten sollte, versetzte Teile der Öffentlichkeit schon damals in derartige Entrüstung, dass sowohl die Uni als auch Putin darauf verzichteten. Grund für den Proteststurm sei der „in völkerrechtswidriger Weise geführte Tschetschenienkrieg“, hieß es. 2011 wurde die geplante Verleihung des Quadriga-Preises für Putin (damals Premierminister) ebenfalls wegen allgemeiner Empörung abgesagt. An US-Präsidenten wurden solche Maßstäbe hingegen nicht angelegt: Bill Clinton, der kurz zuvor einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Jugoslawien befohlen hatte, erhielt 1999 den Deutschen Medienpreis, im Jahr 2000 den Karlspreis in Aachen und 2002 den Europäischen Mittelstandspreis.

Der Vergleich dieser beiden Präsidentenämter ist absolut relevant für die Analyse der Russophobie, denn westliche Medien stellen die Anführer Russlands und der USA regelmäßig wie direkte Gegensätze dar, schreibt Dominic Basulto. Der russische Staatsführer spiele dabei immer die Rolle des „dunklen Zwillings“. Hierin kulminiere die seit Jahrhunderten existente Darstellung Russlands als das Andere, das Böse. In westlichen Augen habe es immer diesen Dualismus zwischen uns und denen gegeben, zwischen Freiheit und Tyrannei, Demokratie und Autokratie, Zivilisation und Barbarei, Licht und Dunkelheit. Oftmals geradezu „plump cartoonistisch“ sei die medial-politische Darstellung Russlands als „Reich des Bösen (Empire of evil)“ (Ronald Reagan).

Oleg Nemensky erläutert, dieses „manichäische Weltbild“ sei besonders für die zeitgenössische amerikanische Kultur charakteristisch und impliziere das Vorhandensein des absolut Guten, das von den USA verkörpert wird, und des absolut Bösen. „Die Jahre des Kalten Krieges haben Russland in dieser Position etabliert“ und bis heute habe sich nichts daran geändert. Die USA übernahmen übrigens zahlreiche Aspekte ihrer Russophobie vom britischen Weltreich. Nemensky betont, es sei äußerst bemerkenswert, dass die Antithese „westliche Freiheit“ vs. „russische Sklaverei“ über verschiedene Epochen der Geschichte hinweg immer wieder reproduziert wird, auch wenn sich die konkreten Konzepte hierzu ändern. Keine Rolle spielen dabei die Jahrhunderte westlicher Sklaverei, die in den USA sogar länger dauerte als die Leibeigenschaft im „rückständigen“ Russland.

Die Russen sind laut russophober Darstellung ein Volk, das nicht in der Lage ist, sich selbst zu regieren und deshalb die Sklaverei begehrt. Ein Volk, das durchgängig von Tyrannen und Diktatoren regiert werde, müsse wohl selbst von Natur aus autoritätshörig und unterwürfig sein, so der seit Jahrhunderten beständig rekapitulierte Zirkelschluss.
„Dieses Volk findet mehr Gefallen an der Sklaverei als an der Freiheit“, berichtete der österreichische Gesandte Sigismund von Herberstein 1549 aus Moskau. Die Russen sind ein „Stamm, der in die Sklaverei hineingeboren wurde, an das Joch gewöhnt ist und die Freiheit nicht ertragen kann“, erklärte der Niederländer Edo Neuhusius seinen Lesern 1633. „Der politische Gehorsam ist für die Russen ein Kultus, eine Religion geworden“, bemerkte der bereits erwähnte Astolphe Marquis de Custine 1837. „Russland war für uns der Inbegriff der Unfreiheit und Zwangsherrschaft, eine Gefahr für unsere Zivilisation“, schrieb ARD-Korrespondent Fritz Pleitgen über das Denken deutscher Journalisten in den 1960er Jahren. „‘Sklavenbewusstsein’: Warum sind viele Russen so unterwürfig?“, fragte der Bayrische Rundfunk im Jahr 2022.

So frappierend austauschbar diese Aussagen über die Jahrhunderte hinweg sind, so nützlich ist diese Erkenntnis, um den tiefsitzenden, traditionellen Russlandhass des liberalen Bürgertums westlicher Länder zu verstehen. Denn gerade für diese Gruppierungen, die heute etwa durch die Demokratische Partei der USA oder durch die Grünen in Deutschland repräsentiert werden, war das Stereotyp vom despotischen Russland schon immer extrem wirkmächtig.

Der polnische Aufstand gegen die russische „Tyrannei“ 1830/31 war eine Art Initialzündung und löste große Begeisterung bei den liberalen deutschen Medien und der Studentenbewegung, aber auch in Frankreich und England aus. Die damalige „Polenschwärmerei“ ging in die Geschichtsbücher ein. Zahlreiche „Polenlieder“ entstanden. In einem hieß es:
„Wir sahen die Polen, sie zogen aus, als des Schicksals Würfel gefallen. Sie ließen die Heimat, das Vaterhaus, in der Barbaren Räuberkrallen: Vor des Zaren finsterem Angesicht beugt der freiheitsliebende Pole sich nicht.“

Der Politiker Friedrich von Blittersdorf erkannte damals eine „fast rätselhafte Verzauberung der Regierungen und eine ebenso unbegreifliche Verblendung vieler Staatsmänner“. Parallelen zur „Solidarität“ mit der Ukraine 2022 sind unverkennbar.
Ebenfalls zur Befreiung Polens liebäugelte die Linke im Paulskirchenparlament 1848 mit einem großen Krieg gegen Russland. Diese damalige deutsche Linke, die sich als patriotisch und liberal verstand, betrachtete das Zarenreich immer als bedrohlichen Hort der Reaktion, erläutert Hannes Hofbauer. Liberale Intellektuelle dichteten den Russen darüber hinausgehend alle erdenklich negativen Eigenschaften an. Im Zuge ihrer Autokratiekritik entwickelten die deutschen Liberalen das Bild eines „verachtenswerten russischen Volkscharakters“, das sich über die Jahrzehnte zum ausgewachsenen Rassismus gegen die Russen entwickelte.

So hielten russophobe Positionen auch Einzug in die deutsche Sozialdemokratie. Antirussische Affekte waren in der SPD ebenso stark vertreten wie in der liberalen Bewegung Großbritanniens, erklärt der Historiker Christopher Clark in Bezug auf die Phase vor dem Ersten Weltkrieg. Der SPD-Vorsitzende August Bebel, der ebenfalls der liberal-demokratischen Bewegung entstammte, sagte in einer Rede 1907:
„Wenn es zu einem Krieg mit Rußland käme, das ich als Feind aller Kultur und aller Unterdrückten nicht nur im eigenen Lande, sondern auch als den allergefährlichsten Feind von Europa und speziell für uns Deutsche ansehe, (…) dann sei ich alter Knabe noch bereit, die Flinte auf den Buckel zu nehmen und in den Krieg gegen Rußland zu ziehen.“

Heutige deutsche Bundestagsabgeordnete sind dazu wohl nicht mehr bereit, doch ihre Aussagen über Russland klingen ansonsten sehr ähnlich.

Russophobie ist ein System von Ansichten, das sich vor Jahrhunderten herausgebildet hat, aber in fast unveränderter Form bis heute in westlichen Ländern existiert, schrieb Oleg Nemenski vor zehn Jahren. Das Phänomen trete im Westen als eine Art „umgekehrte politische Korrektheit“ auf. Seit 2013 hat sich die Russophobie nochmal erheblich verschärft. Derzeit haben wir es mit einem Höhepunkt russlandfeindlicher Äußerungen zu tun, was wiederholt im Vorfeld von Kriegen festzustellen war. Das Level an Russophobie kann für aufmerksame Beobachter des Zeitgeschehens demnach als Indikator dienen. Besonders gefährlich scheint es, wenn Politiker und Publizisten russophobe Stereotype nicht nur politisch instrumentalisieren, sondern tatsächlich an diese glauben.
Ebenfalls historisch festzustellen ist aber auch, dass Russophobie irgendwann wieder abebbt. Das kann auch ohne Krieg geschehen, wie es das Ende der Blockkonfrontation ab 1990 aufzeigte. Allerdings verschwindet das Phänomen nicht, sondern wird auch danach latent erhalten bleiben, solange westliche Gesellschaften das Problem nicht grundsätzlich angehen. Dafür gäbe es sogar historische Vorbilder. Die Parallelen von Russophobie und Antisemitismus sind allerdings ein Thema für sich. Auf entsprechend angelegte Lösungsvorschläge, wie etwa Nemensky sie gemacht hat (UN-Resolution gegen Russophobie, Einrichtung einer Anti-Diffamierungsliga und spezialisierter Institute, die Fälle von Russophobie untersuchen und öffentlich anprangern), soll hier deshalb nicht eingegangen werden. Nur so viel: Solche Vorschläge scheinen aktuell schwer umsetzbar, da diese ausgerechnet von Regierungen und Leitmedien im Westen unterstützt werden müssten, denn dort liegt ja der Kern des Problems.

Der frühere CIA-Beamte Phil Giraldi betonte in einem Interview beispielsweise: Das Biden-Kabinett sei voll von Russophoben, die Russland für alles Mögliche verantwortlich machen. Auch viele Menschen in der CIA seien durch Russophobie motiviert und glaubten an die Stereotypen. In der politisch-medialen Landschaft westlicher Länder ist man in der Regel jedoch nicht mal Willens, das Problem überhaupt zu erkennen. Der Vorwurf der Russophobie sei nur eine Art geschickte Ablenkung von russischen Gräueltaten und solle lediglich Kremlkritiker diskreditieren, heißt es – hier idealtypisch in der ,,Neuen Zürcher Zeitung".
Klar wird bei alldem: Das Phänomen Russophobie hat kaum etwas mit Russland und den Russen selbst zu tun – dafür aber viel mit den westlichen Gesellschaften. Es ist ein permanentes Überlegenheitsdenken, eine vorsätzliche Doppelmoral. Ja, Russland führt Kriege; russische Politiker und Journalisten haben durchaus schon gelogen. All diese Aspekte gelten mindestens ebenso für Akteure westlicher Länder insbesondere den USA. Doch während man hier die eigenen Kriege schönredet, eigene Lügen vergisst und eigene Verbrechen zu Einzelfällen umdeutet, erklärt man solche Taten in Bezug auf Russland zur immer und überall gültigen Norm.
Russophobie ist im Kern ein rassistisches Phänomen, vermerkt Guy Mettan. Russophobe Menschen weigern sich grundsätzlich, Menschen aus Russland oder den russischen Staat als gleichberechtigt und gleichwertig dem entsprechenden westlichen Gegenüber anzuerkennen. Menschen aus Russland haben eigene Lebenserfahrungen und politische Perspektiven und ihr Staat hat eigene ökonomische und politische Interessen, die nicht besser oder schlechter sind als deren Gegenstück im Westen. Die Interessen und die dazu angewendeten Mittel können legitim oder illegitim sein, legal oder illegal, moralisch oder unmoralisch. Dies gilt es in jedem Fall sachlich zu prüfen – aber nicht immer und von vornherein zu verurteilen mithilfe jahrhundertealter, abwertender Stereotype, die zu nichts anderem führen als zu Hass und Krieg.

Victor Klemperer (Literaturwissenschaftler, Romanist und Politiker) schrieb unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg:
„Ich will es gerade heute und hier besonders dick unterstreichen. Denn es tut uns so bitter not, den wahren Geist der Völker kennenzulernen, von denen wir so lange abgeschlossen waren, über die wir so lange belogen worden sind. Und über keines sind wir mehr belogen worden als über das russische.“

von ASKL

50 Jahre Putsch in Chile

 Der Sturz Salvador Allendes


Für viele mag der 11. September ausschließlich der Jahrestag des Attentats auf das World Trade Center sein. Für Sozialisten und Kommunisten hingegen ist es ebenfalls der Tag, an dem ein demokratisch gewählter sozialistischer Präsident mithilfe eines Militärputsches gewaltsam seines Amtes enthoben wurde, was seinen Tod zur Folge hatte und den Beginn einer Diktatur markierte.

Wir schreiben das Jahr 1970 in Chile: Salvador Allende, ein studierter Arzt und hingebungsvoller Politiker, wird mithilfe einer Koalition aus Linken und Christdemokraten zum Präsidenten gewählt. Er hat große Pläne für das arme Land und bemüht sich um die Nähe zur sorgengeplagten Bevölkerung. Und die Ausgangslage ist fatal. Chile leidet an Hunger und die Kindersterblichkeit liegt bei 30 Prozent, frühere Reformen brachten keine echten Verbesserungen. Die Lösung für die Nöte der Menschen sieht Allende daher im Aufbau eines sozialistischen Systems. Mit der Verstaatlichung von Teilen der Industrie will er neue Arbeitsplätze schaffen, medizinische Versorgung und Bildung sollen für alle kostenlos sein und der Besitz von Land soll staatlich neu geregelt werden. Er hält seine Wahlversprechen, kann aber eine weitere Wirtschaftskrise nicht verhindern – und er hat mächtige Feinde.

Denn Salvador Allende ist bekennender Marxist und Mitbegründer der sozialistischen Partei. Das Erstarken der linken Politik in Chile ruft schon in den späten 50er Jahren den Erzfeind des Kommunismus auf den Plan. Nach der 1961 gelungenen Revolution in Kuba sind die USA endgültig alarmiert: Nicht noch ein mittelamerikanisches Land darf zum Verbündeten der kommunistischen Sowjetunion werden. Washington beginnt, Allendes politische Gegner finanziell und ideologisch zu unterstützen und lässt ebenfalls Geld in den Wahlkampf 1970 fließen, um seinen Sieg zu verhindern. Als das nicht funktioniert, greift die CIA zu härteren Maßnahmen und plant eine Geheimoperation, die eine Machtübernahme durch das Militär provozieren soll. Auch diese schlägt fehl.

Aber die Einmischung der Amerikaner hat nicht nur geopolitische, sondern auch wirtschaftliche Gründe. Die zuvor in US-Privatbesitz befindlichen Kupferbergwerke sind Teil von Allendes Reformplänen und werden verstaatlicht. Und so fließen nicht nur Gelder der US-Regierung, sondern auch große Summen von multinationalen Unternehmen in den Versuch den im Aufbau befindlichen chilenischen Sozialismus zu zerstören.

Schließlich kommt es am 11. September 1973 zum Staatsstreich, als das eigene Militär seine Waffen gegen den Präsidenten erhebt. Teile der Streitkräfte besetzen die Hauptstadt Santiago und Valparaíso, den Sitz des Kongresses. Salvador Allende verschanzt sich im Präsidentenpalast und lehnte ein Angebot seiner Gegner sich ins Exil zu begeben ab. Die Luftwaffe bombardiert daraufhin das Gebäude. Infolgedessen soll Salvador Allende sich das Leben genommen haben.

Was auf den Putsch folgt, ist eine 17-jährige Diktatur unter dem Autokraten Augusto Pinochet, der das Land mit Terror regiert und tausende Tote und eine enorme Zahl an Menschenrechtsverletzungen sein Vermächtnis nennt. An den Beginn dieser schrecklichen Epoche erinnern die Chilenen jedes Jahr am 11. September mit einem Gedenkmarsch – aber auch an Salvador Allende und seine Vision eine gerechtere Welt zu errichten.

von NIKITA