Ein Held der keiner ist

Im Westen verehrt, in der Heimat ignoriert

Alexej Nawalny. Kaum ein Russe polarisiert Deutschland und den Westen sosehr wie er. Nach seiner Verhaftung und Verurteilung 2021 in Moskau wurde um ihn ein regelrechter Opfermythos aufgebaut. Insbesondere westliche Politiker fordern seine Freilassung. Bundesfinaziminister Christian Linder (FDP) widmet dem russischen Aktivisten immer wieder Tweets in der er die „ungerechtfertige“ Verurteilung Nawalnys anprangert. Bemerkenswerter Weise hat Lindner noch nie über Julian Assange getwittert. Misst da jemand mit zweierlei Maß?!  In seiner russischen Heimat intersiierten er und seine Organisation kaum jemanden. Sie sind, wie die ''Letzte Generation'' in Deutschland, eher lästig oder man belächelt sie. Wie kommt es zu einer solchen Diskrepanz in der Wahrnehmung dieser Person? 
Zeit sich mal genauer mit der Personalie Alexej Nawalny zu beschäftigen. 

Alexej A.Nawalny ist am 04. Juni 1976 in Butyn, Oblast Moskau, RSFSR, Sowjetunion geboren und wurde in der russischen und westlichen Öffentlichkeit ursprünglich als Blogger und, „Politfluencer“ mit überschaubarem Einfluss bekannt. Er widmete sich in seinen Beiträgen, die auch zu Anzeigen führten. Nawalny ist studierter Jurist, der Korruptionsbekämpfung im staatlichen und staatsnahen Bereich (auch wenn er später selbst genau deswegen verurteilt wurde). Dieses Engagement ist grundsätzlich Positives, doch sind seine Methoden dabei fragwürdig. Wer so etwas aufdeckt, betreibt zwar bis zu einem gewissen Grad Sisyphusarbeit, steht aber für Transparenz und Sauberkeit. Bei Nawalny ist es anders. Seine „Antikorruptionskampagnen“ entspringen einem persönlichen Interesse: Er ist als Unternehmer und Finanzinvestor auch Aktionär bei Gas- und Ölkonzernen sowie im Immobilienbereich, die von Veruntreuungsfällen betroffen waren – kurz gesagt: Nawalny machte sich Sorgen um die Höhe seiner Dividenden. Dies war sein Ansporn. Natürlich hat er bemerkt, dass es im Konkurrenzkampf der verschiedenen russischen Kapitalfraktionen auch politischer Instrumente bedarf, weshalb er in den Ring der Politik stieg, zunächst bei der liberalen Jabloko(Apfel)-Partei, quasi die russische Schwesterpartei der FDP. Aus dieser wurde er jedoch 2007 ausgeschlossen, aufgrund eines eher unschönen Charakterzuges, nämlich aufgrund von Fremdenfeindlichkeit, radikalem Nationalismus und der wiederholten Zusammenarbeit mit rechtsextremen bis faschistischen Organisationen. Diese „dunkle Seite“ des politischen Hoffnungsträgers wird im Westen wohl wissend verschwiegen, obwohl sie seit fünfzehn Jahren bekannt ist.

Nawalny gerierte sich immer wieder als Verteidiger des ethnischen Russentums und seiner Hegemonie, eines rücksichtslosen und chauvinistischen Nationalismus, der auch die Ukraine vereinnahmt. Ihm sind Muslime, nichtslawische Minderheiten in Russland sowie Immigranten und Gastarbeiter aus Zentralasien oder dem Kaukasus ein Dorn im Auge, weswegen er sich für Abschiebungen und Deportationen ausspricht. Zur „Sicherheit“ will er alle Russen mit Schusswaffen ausstatten, um migrantische „Kakerlaken“ (sein Wortlaut) in Schach zu halten. Tschetschenen bezeichnet er überhaupt als „Handlanger Hitlers“. Mit dessen Verehrern hat er ansonsten eigentlich nicht so ein großes Problem, denn als Mitorganisator des nationalistischen „Russischen Marsches“ kooperierte er in der Vergangenheit, bis die Veranstaltung behördlich unterbunden wurde, mit Rechtsextremen, Neonazis und Antisemiten. Man könnte ihn kurz als den russischen Attila Hildmann bezeichnen. 2013 befürwortete er übrigens auch die ,,Annexion" der Krim. 
Natürlich um seine Sympathien bei seinen Unterstützern im Westen nicht zu verspielen, bemüht sich Nawalnys PR-Stab inzwischen um ein etwas gemäßigteres Auftreten, zumindest wenn Kamerateams oder Journalisten aus der EU oder den USA dabei sind. Trotzdem soll seine Partei „Russland der Zukunft“ (früher: „Fortschrittspartei“) mit einem eher schwammigen Programm ein Bündnis von Oligarchiefraktionen, Wirtschaftsliberalen, Rechtsextremen und gehobenem Kleinbürgertum ermöglichen. Für die Arbeiterklasse hat Nawalny nur Verachtung übrig, fordert aber immerhin einen Mindestlohn von rund 400 Euro.

Dass Nawalny tatsächlich die Macht im Kreml an sich reißen kann, ist unwahrscheinlich  weil seine Popularität bei westlichen Politikern und Medien keine Entsprechung in Russland aufweist. Ein Gutteil der russischen Bevölkerung außerhalb Moskaus hat noch nie etwas von Nawalny gehört, kennt ihn kaum oder nur als einen Politclown, der gerne nicht genehmigte Demonstrationen durchführt, um sich dann medienwirksam verhaften zu lassen. Doch eine Machtübernahme des Nawalny-Lagers der russischen Oligarchie würde für Russland und seine Bevölkerung ohnedies viele negative Konsequenzen haben. Im Prinzip schwebt ihm eine Ausrichtung wie in Kiew vor. Dass der Maidan-Putsch deutlich mit verstärkter kapitalistischer Ausbeutung und Unterdrückung, mit dem Aufkommen faschistischer Umtriebe, mit Verfolgung und Illegalisierung linker und kommunistischer Organisationen, mit Diskriminierung von Minderheiten und nicht zuletzt durch einen Bürgerkrieg begleitet wurde, sollte zu denken geben. Auf solche „demokratischen und pro-europäischen Hoffnungsträger“ wie Nawalny kann man, nicht nur in Russland, getrost verzichten. 
Doch was erwartet man von einer Gesellschaft, in der man ein Regime unterstützt, in dem offensichtlich rechtsextreme und faschistische Strukturen etabliert sind.

von ASKL