Kriegstreiber siegen, Diplomaten verlieren

Das unbefriedigende EU-Wahlergebnis

Obwohl das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) aus dem Stand auf beachtliche 6% kam und die Ampel-Parteien insgesamt an Zuspruch verloren, ist das Ergebnis der Wahlen zum EU-Parlament eine schwere Niederlage für die Friedenskräfte. Die drei Parteizusammenschlüsse, die auch bisher die Mehrheit hatten – Christdemokraten (EVP), Sozialdemokraten und Liberale –, errangen fast 400 der 720 Mandate.

Mit diesem Resultat ist sicher, dass die Kriegspolitik der EU weiter parlamentarisch gestützt wird. Zu erwarten sind neue Schritte, um der EU-Kommission direkte Unterstützung von Rüstung und Waffenlieferungen, die ihr bislang offiziell untersagt sind, zu ermöglichen. Frankreich drängt darauf, die EU neben der NATO zur „zweiten Lebensversicherung“ (Außenminister Stéphane Séjourné) zu machen. Am 28. Mai vereinbarte der deutsch-französische Ministerrat in Meseberg die Entwicklung einer sogenannten Präzisionsabstandswaffe unter Einbeziehung anderer EU-Staaten. Drei Tage später gestattete Olaf Scholz Kiew, russisches Territorium mit deutschen Waffen zu beschießen. Gleichzeitig trat er im EU-Wahlkampf als „Friedenskanzler“ auf.
Dies nahmen zwar die Wähler der SPD nicht mehr ab, stimmten aber nicht für jene, die sich konsequent für Frieden einsetzten, sondern machten CDU/CSU und AfD zu den stärksten Parteien. Mit den 30% der Stimmen für die „Ampel“ erhielt das Kartell der Kriegsparteien mehr als 75%. Deutschland ist nicht nur ökonomisch und wirtschaftlich Führungsmacht beim Krieg gegen Russland, es ist erneut auch Zentrum der ideologischen Reaktion auf dem Kontinent.

Die Europawahl war ein Desaster für die Ampelparteien. Nur die FDP konnte (überraschend) ihr Fünf-Prozent-Ergebnis von 2019 halten, nachdem sie in Umfragen lange unter fünf Prozent gelegen hat. Verglichen mit der Bundestagswahl hat die FDP allerdings sechs Prozentpunkte verloren. Die SPD erzielte mit voraussichtlich rund 14% ihr schlechtestes Ergebnis bei einer bundesweiten Wahl überhaupt. Generalsekretär Kevin Kühnert sprach in einer ersten Reaktion von einer harten Niederlage. Aus diesem Resultat ergibt sich auch eine politische Schwächung des Bundeskanzlers, der sich im Wahlkampf auf Großplakaten neben Spitzenkandidatin Katarina Barley präsentiert hatte. In den vergangenen Monaten war immer wieder darüber spekuliert worden, ob der in der Bevölkerung angeblich deutlich populärere Verteidigungsminister Boris Pistorius die Sozialdemokraten in die Bundestagswahl 2025 führen könnte – zuletzt auch vom ehemaligen Parteichef Franz Müntefering. Schuld am krachenden Absturz der SPD sind laut Kühnert übrigens die Grünen und die FDP. Diese brächten für die SPD nämlich eine „Kontaktschande“ mit sich. Die SPD habe in der Ampel „eine Politik gerade für untere Einkommens-gruppen gemacht“, behauptete er ohne dabei rot zu werden. Doch „unsere beiden Koalitionspartner (werden) von diesem Teil der Bevölkerung stark abgelehnt“, das färbe auch auf die SPD ab.

Regelrecht abgestürzt sind die Grünen, die nur noch auf rund 12,5% der Stimmen kommen – ein Rückgang von rund acht Prozentpunkten gegenüber 2019. Für die Grünen ist dieser Einbruch auch deshalb bedenklich, weil sich hier eine grundsätzliche Trendwende bei der Wählerpräferenz abzuzeichnen scheint. Die Partei, die im vergangenen Jahrzehnt von Erfolg zu Erfolg geeilt war, ist laut Umfragen vom Frühjahr inzwischen die unbeliebteste Bundestagspartei. Gleichzeitig wird ihr Einfluss in der Bundesregierung als besonders hoch eingeschätzt: Die Ablehnung der Ampel ist also vor allem auch eine Ablehnung der Grünen. Am Sonntag sind die Grünen offenbar auch bei Erstwählern, von denen 2019 noch rund ein Drittel Grüne gewählt hatte, eingebrochen: Nur noch rund jeder zehnte 16- bis 24-jährige Wähler hat am Sonntag sein Kreuzchen bei den Grünen gemacht hat. ,,Das ist nicht der Anspruch, mit dem wir in diese Wahl gegangen sind, und wir werden das gemeinsam aufarbeiten, sagte die Ko-Parteichefin Ricarda Lang am Sonntag Abend in der ARD.

Mit diesen geistreichen Erklärungsversuchen haben sich Kühnert und Lang erfolgreich auf das allgemeine Niveau der bürgerlichen Wahlanalysen eingelassen. Besonders die Jugend bekam dabei ihr Fett weg. In der Altersgruppe der 16- bis 24-Jährigen verloren die Grünen im Vergleich zu 2019 rund 23 Prozent an Wählerstimmen, während die AfD 11% hinzugewann. 28% der jungen Stimmen gingen an Kleinparteien. Schnell wurde von „TikTok-Politik“ gesprochen, um das katastrophale Abschneiden des Regierungslagers zu erklären und vermeintlicher „Desinformation“ die Schuld zu geben. Wer heute 16 ist, war im Jahr 2020 12 Jahre alt. Diese Generation hat in ihrem bewussten politischen Leben nichts anderes als Pandemie, Krise und Krieg erlebt. Doch diese Überlegungen fanden im Mainstream keinen Widerhall, würden politische Ableitungen doch bedeuten, den jungen Menschen friedliche und lebenswerte Perspektiven bieten zu müssen. Die gibt es im Programm der Kriegsparteien aber nicht. Im nachhinein dürften daher am meisten die Absenkung des Wahlalters bereuen.

Auch für die Partei ,,Die Linke ist die Europawahl ein vollständiges Fiasko. Sie hat ihr Ergebnis von 2019, das damals als überraschend schlecht gewertet worden war, noch einmal halbiert. Die Partei kommt auf nur noch 2,7%. Das könnte immerhin für drei Abgeordnete im EU-Parlament reichen. Aber mit diesem Ergebnis scheint ein Wiedereinzug der schwer angeschlagenen Partei in den Bundestag 2025 in den Bereich der Utopie zu rücken. Abgesehen von den nackten Zahlen liegt mit diesem Resultat der gesamte politische Ansatz der Parteiführung in Scherben: Jahrelang hatte die tonangebende Fraktion im Parteivorstand auf den politischen und organisatorischen Bruch mit der Strömung um die Bundestagsabgeordnete Sahra Wagenknecht hingearbeitet. Die Auseinandersetzungen mit Frau Wagenknecht wurden für die Abfolge von Wahlniederlagen verantwortlich gemacht. Nun ist Wagenknecht weg – und mit ihr viele der noch verbliebenen Wähler.

Der Versuch, die alte Klientel durch eine organisatorische und politische Öffnung für liberal-aktivistische Milieus und den Wokismus zu ersetzen, ist ein Rohrkrepierer: Die ,,Bewegungen, auf die man hier setzen und mit einer Spitzenkandidatin Carola Rackete ansprechen wollte, deren Nominierung als Coup gefeiert wurde, haben wahlpolitisch keinerlei Gewicht – ganz abgesehen von den damit aufgeworfenen politischen Problemen. Im Osten kam die Linke am Sonntag nur noch auf 5,5% – ein katastrophales Ergebnis, das die Frage nach der Zukunft der Partei auf die Tagesordnung setzt.

Das neue Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), das in der Fläche über keinerlei Strukturen und keinen hauptamtlichen Apparat verfügt, kam im Osten aus dem Stand auf über 13 Prozent der Stimmen und ist damit dort drittstärkste Kraft. ,,Wir haben heute hier Parteiengeschichte geschrieben, sagte Generalsekretär Christian Leye am Abend. Die Parteivorsitzende zeigte sich mit den voraussichtlich knapp sechs Prozent der Stimmen im bundesweiten Schnitt sehr zufrieden: ,,Da ist ein großes Potenzial, sagte Wagenknecht in der ARD. Sie wolle dies nun bei den folgenden Wahlen weiter ausbauen. Nach ersten Erhebungen hat das BSW vor allem ehemalige Wähler der Linkspartei und der SPD gewonnen, in geringerem Maße solche der AfD und der Union.

Bereits nach den ersten Hochrechnungen wurde, wie von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) gefordert, dass es zu Neuwahlen komme solle. „Diese Regierung ist im Grunde genommen fertig“, sagte er und zeigte sich mit dieser Einschätzung erstaunlich volksnah. Doch vorerst bleibt es beim Gedankenspiel. SPD und Grüne werden in Anbetracht ihrer gewaltigen Verluste den Teufel tun, sich einer Wahl zu stellen. Auch die an der 5-Prozent-Hürde kratzende FDP dürfte kein besonderes Interesse am Urnengang haben und selbst wenn es zu Neuwahlen kommen würde, die Politik bleibt die selbe. Was oft und gerne vergessen wird ist nämlich, dass nicht allein die Ampel-Regierung für den katastrophalen zustand der BRD ist. 16 Jahre Merkel (CDU) haben einen gewaltigen Teil dazu beigetragen. 

Wenn die Europawahl eins gezeigt hat, dann dass sich der hochgefährliche Kriegskurs bei aller Unzufriedenheit nicht einfach abwählen lässt. Um den Kriegstreibern in den Arm zu fallen, braucht es eine starke Bewegung und mutige Gewerkschaften für Frieden und gegen den sozialen Kahlschlag.

von ASKL